Sherlock Holmes in der Phantastik: Unterschied zwischen den Versionen
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Die eben genannte Rechnung ist nicht ganz wahr. Aber ich gebe zu, dass ich eingangs geschummelt habe. Eingangs müssen wir die Frage klären, wer mit „Doyle“ gemeint ist. Noch heißt der große Platz „Doyle-Holmes-Platz“, aber wir müssen anfangen, hier zu differenzieren. Neben Arthur Conan Doyle hat sich sein Sohn Adrian Conan Doyle nämlich an Holmes-Geschichten versucht. In Zusammenarbeit mit John Dickson Carr (der nicht immer als Co-Autor genannt wird) erschienen die Sammlungen als THE EXPLOITS OF SHERLOCK HOLMES; meine deutsche Ausgabe listet sie als Band XVII und Band XVIII von SIR ARTHUR CONAN DOYLE GESAMMELTE WERKE IN EINZELAUSGABEN. Das ist dann völlig gelogen. Die deutsche Ausgabe als SHERLOCK HOLMES‘ NACHLASS ist dann schon ehrlicher.<br> | Die eben genannte Rechnung ist nicht ganz wahr. Aber ich gebe zu, dass ich eingangs geschummelt habe. Eingangs müssen wir die Frage klären, wer mit „Doyle“ gemeint ist. Noch heißt der große Platz „Doyle-Holmes-Platz“, aber wir müssen anfangen, hier zu differenzieren. Neben Arthur Conan Doyle hat sich sein Sohn Adrian Conan Doyle nämlich an Holmes-Geschichten versucht. In Zusammenarbeit mit John Dickson Carr (der nicht immer als Co-Autor genannt wird) erschienen die Sammlungen als THE EXPLOITS OF SHERLOCK HOLMES; meine deutsche Ausgabe listet sie als Band XVII und Band XVIII von SIR ARTHUR CONAN DOYLE GESAMMELTE WERKE IN EINZELAUSGABEN. Das ist dann völlig gelogen. Die deutsche Ausgabe als SHERLOCK HOLMES‘ NACHLASS ist dann schon ehrlicher.<br> | ||
Die Geschichten sind nett, aber sie leiden darunter, dass die krampfhaft versuchen, Teil des Holmes-Kanon zu sein. Anspielungen auf frühere Fälle (nämlich solche aus dem Kanon) nehmen gefühlt überhand; es entwickelt sich bei Adrian Doyle kein eigener Stil, der vielleicht belebend auf die Saga gewirkt hätte. Also: Echte Sherlock Holmes-Geschichten können nur vom echten Doyle sein, nämlich von Arthur Conan Doyle.<br> | Die Geschichten sind nett, aber sie leiden darunter, dass die krampfhaft versuchen, Teil des Holmes-Kanon zu sein. Anspielungen auf frühere Fälle (nämlich solche aus dem Kanon) nehmen gefühlt überhand; es entwickelt sich bei Adrian Doyle kein eigener Stil, der vielleicht belebend auf die Saga gewirkt hätte. Also: Echte Sherlock Holmes-Geschichten können nur vom echten Doyle sein, nämlich von Arthur Conan Doyle.<br> | ||
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Dann kommen wir zu der Frage, welche Texte von Arthur Conan Doyle überhaupt Holmes-Texte sind. Einerseits gibt es die sogenannten „Apokryphen“:<br> | Dann kommen wir zu der Frage, welche Texte von Arthur Conan Doyle überhaupt Holmes-Texte sind. Einerseits gibt es die sogenannten „Apokryphen“:<br> | ||
''„Als »Apokryphen« (…) gelten jene kürzeren »Sherlock Holmes«-Texte, die Arthur Conan Doyle an verstreuten Orten veröffentlicht, aber nicht in die Sammelbände aufgenommen hat (…).“''<ref>Postma, S. 32</ref><br> | ''„Als »Apokryphen« (…) gelten jene kürzeren »Sherlock Holmes«-Texte, die Arthur Conan Doyle an verstreuten Orten veröffentlicht, aber nicht in die Sammelbände aufgenommen hat (…).“''<ref>Postma, S. 32</ref><br> |
Version vom 31. Dezember 2021, 11:57 Uhr
1. Zur Einführung
“Illustrator Sidney Paget had been commissioned to provide a pictorial accompaniment; it was he who created the image of the tall, gaunt aesthete; it was also Paget who was responsible for providing the various accoutrements which have become virtual synecdoches for Holmes himself: the meerschaum pipe, the cape and, of course, the now ubiquitous deerstalker (…).“[1]
Julian Wolfreys „Introduction“ in Arthur Conan Doyle THE ADVENTURES AND MEMOIRS OF SHERLOCK HOLMES
Man stelle sich den Holmes-Kosmos als einen hellbeleuchteten Platz vor, von dem eine Menge Straßen abgehen. In der Mitte des Platzes steht eine Stele, auf der alle Namen aller Holmes-Geschichten und –Romane eingemeißelt sind. Die Straßen, die vom Platz wegführen, haben Schilder, auf denen steht, in welche (literarische) Richtung man sich von hier aus bewegt. Einige Straßen führen in die Reiche der Phantastik, andere in den Krimi, wieder andere zur Hommage, Pastiche oder anderen mehr oder weniger gut gelungenen Kopien des „Meisters“.
Es ist unmöglich, alle Holmes-Geschichten in einem Leben zu lesen. Ihre Menge ist Legion; sicherlich wurde dies dadurch gefördert, dass jeder heute eine Geschichte im Holmes‘-Universum veröffentlichen darf, ohne dafür standrechtlich erschossen zu werden. Hier folgen also nicht mehr als ein paar touristische Hinweise auf Werke der Phantastik um Holmes, welchen Wegweisern man folgen sollte und welchen besser nicht – wobei ich keinesfalls behaupten will, auch nur einen mehr als kursorischen Überblick bieten zu können.
2. Kanonische Zahlenspiele
“Or if you see someone’s name and you give each letter a value from 1 to 26 (a = 1, b = 2 etc.) and you add the numbers up in your head and you find that it makes a prime number, like Jesus Christ (151), or Scooby Doo (113), or Sherlock Holmes (163), or Doctor Watson (167).“[2]
Mark Haddon THE CURIOUS INCIDENT OF THE DOG IN THE NIGHT-TIME
Beginnen wir mit dem großen Platz, auf dem sich alle Sherlock Holmes-Geschichten befinden (sollen). Eine Menge Fehlinformationen werden über diesen großen Platz, den sogenannten „Kanon“ verbreitet, der aus den gesammelten Geschichten von Doyle über Holmes bestehen soll. So heißt es:
„Der Holmes-»Kanon« umfasst dabei jene Neun Großen Bücher, auf deren Deckeln der Name Sir Arthur Conan Doyle steht: Vier Romane und fünf Erzählbände mit insgesamt 56 Fall-Berichten, erschienen zwischen 1887 und 1927.“[3]
Wenn man die Kurzgeschichten und die Romane zusammenzählt, kommt man zu folgender mathematischen Leistung:
„Die 60 Abenteuer des Sherlock Holmes (…) sind der Gefolgschaft des »Meisters« als die »Heiligen Schriften« bekannt.“[4]
Die vier Romane sind A STUDY IN SCARLET, THE SIGN OF THE FOUR, THE HOUND OF THE BASKERVILLES und THE VALLEY OF FEAR. Die Kurzgeschichten sind in den Sammlungen THE ADVENTURES OF SHERLOCK HOLMES, THE MEMOIRS OF SHERLOCK HOLMES, THE RETURN OF SHERLOCK HOLMES, THE CASEBOOK OF SHERLOCK HOLMES und HIS LAST BOW enthalten.[5]
2.1. Welcher Doyle?
Die eben genannte Rechnung ist nicht ganz wahr. Aber ich gebe zu, dass ich eingangs geschummelt habe. Eingangs müssen wir die Frage klären, wer mit „Doyle“ gemeint ist. Noch heißt der große Platz „Doyle-Holmes-Platz“, aber wir müssen anfangen, hier zu differenzieren. Neben Arthur Conan Doyle hat sich sein Sohn Adrian Conan Doyle nämlich an Holmes-Geschichten versucht. In Zusammenarbeit mit John Dickson Carr (der nicht immer als Co-Autor genannt wird) erschienen die Sammlungen als THE EXPLOITS OF SHERLOCK HOLMES; meine deutsche Ausgabe listet sie als Band XVII und Band XVIII von SIR ARTHUR CONAN DOYLE GESAMMELTE WERKE IN EINZELAUSGABEN. Das ist dann völlig gelogen. Die deutsche Ausgabe als SHERLOCK HOLMES‘ NACHLASS ist dann schon ehrlicher.
Die Geschichten sind nett, aber sie leiden darunter, dass die krampfhaft versuchen, Teil des Holmes-Kanon zu sein. Anspielungen auf frühere Fälle (nämlich solche aus dem Kanon) nehmen gefühlt überhand; es entwickelt sich bei Adrian Doyle kein eigener Stil, der vielleicht belebend auf die Saga gewirkt hätte. Also: Echte Sherlock Holmes-Geschichten können nur vom echten Doyle sein, nämlich von Arthur Conan Doyle.
Aber so einfach ist das nicht. Zumindest für THE HOUND OF THE BASKERVILLES gibt es Diskussionen, dass er nicht von Doyle alleine geschrieben sein soll. Eine Mitautorenschaft wird Bertram Fletcher Robinson zugestanden, der zumindest für Doyle einige der Schauplätze recherchiert hat.[6]
2.2. Welcher Holmes?
Dann kommen wir zu der Frage, welche Texte von Arthur Conan Doyle überhaupt Holmes-Texte sind. Einerseits gibt es die sogenannten „Apokryphen“:
„Als »Apokryphen« (…) gelten jene kürzeren »Sherlock Holmes«-Texte, die Arthur Conan Doyle an verstreuten Orten veröffentlicht, aber nicht in die Sammelbände aufgenommen hat (…).“[7]
Es handelt sich hierbei um „How Watson Learned The Trick“ und „The Field Bazaar“. Letztere Geschichte ist eine Spendensammelgeschichte für die Erweiterung des Cricket Felds von Doyles ehemaliger Universität in Edinburgh.
Doyles Geschichte „The Lost Special“ erwähnt einen „amateur reasoned of some celebrity“, dessen Motto wie folgt sei:
„(…) that when the impossible has been eliminated the residuum, however improbable, must contain the truth.“
Auch eine Holmes-Geschichte?[8]
Es ist nicht schwer, andere Doyle-Geschichten in Holmes-Geschichten zu wandeln:
„Die Sherlock-Holmes-Saga ist sozusagen eingebunden in eine ganze Reihe strukturell verwandter Ersatzstücke. Besonders bekannt geworden sind davon Der verschwundene Sonderzug oder Der Mann mit den Uhren. (…) Ähnlich wie Das Geheimnis des Sasassatals ließe sich Die gestreifte Truhe ohne weiteres in eine Sherlock-Holmes-Geschichte verwandeln (…).“
Zumindest eine deutsche Ausgabe von „The New Catacombe“ verwandelt „Die neue Katakombe“ in eine Holmes-Geschichte – mit dem Zusatz „Nach dem englischen Original neu erzählt von Sabine Reinhardt-Jost“ im gleichnamigen Buch.
Eine Sonderrolle nimmt „The man who was wanted“ von Arthur Whitaker ein, eine Geschichte, die als Original-Doyle verkauft wurde. Whitakers Geschichte fand sich in Doyles Nachlass, ohne dass der Autor erwähnt worden wäre. Der Bericht über diese Geschichte (der auch die Geschichte von Whitaker enthält) – mit dem Untertitel „The Waxing and Waning of the Last Adventure of Sherlock Holmes“ – von Jon L. Lellenberg trägt daher den Titel NOVA 57 MINOR, also die Geschichte um die (angebliche) 57. Holmes-Geschichte.
3. Legenden
“As critic John Simon wrote in 1981: »… there is no point in saying less than your predecessors have said.« Which is a good advice that should be taken by all those who write Sherlock Holmes or Sam Spade pastiches?“
Harlan Ellision „Introduction“ in Neill Gaiman, THE SANDMAN: SEASON OF MISTS
Wir verlassen nun unseren Platz und wenden uns den schattigen Randbereichen zu, in denen verschiedene kleine Stände zu sehen sind, bei denen wir uns nicht sicher sein können, ob sie noch Teil der großen Holmes-Platzes sind oder schon eigene Nischen. Denn: Zusätzlich zu dem Kanon gibt es natürlich viele weitere Geschichte um Holmes, welche als „Legenden“ bezeichnet werden: „Die »Legenden« (…) sind Sherlock-Holmes-Abenteuer, die von fremder Hand hinzugeschrieben wurden (…).“ Viele Holmes-Fans waren unglücklich damit, dass es nur eine begrenzte Zahl von Holmes-Geschichten gibt. Und sie waren willig, Holmes als reale Person zu akzeptieren – naja, mehr oder weniger. Das folgende Zitat mag das verdeutlichen: „Arthur [Conan Doyle, HR], the man, fell further out of focus as groups of enthusiasts such as the Baker Street Irregulars (formed by Christopher Morley in 1934) concentrated on a fantasy world where it was always 1895 and where Conan Doyle himself played a minor role as the literary agent of Dr John Watson, the true author of the exploits of Sherlock Holmes.“ Seit über 100 Jahren werden Fortsetzungen zu Holmes geschrieben, Lücken im „Kanon“ geschlossen und jene Geschichten erklärt/erzählt, die im „Kanon“ nur angedeutet werden.
3.1. Eröffnungen der Legenden.
„Tibet ist das Rückzugsgebiet par excellence: Hitler, überlebende Atlantisbewohner, aus Indien stammende Buddhisten (Mahatmas), Priester Johannes, Christus, Blavatksy, Außerirdische, Wissenschaftler, Nazis, Überlebende der Sintflut, Yetis, die Nestorieaner, Sherlock Holmes (nach seinem vorgetäuschten Tod bei den Reichenbachfällen), sie alle und noch viele mehr sollen in Tibet für kürzere oder längere Zeit Zuflucht und Schutz gefunden haben. Tibet als Asylland von Abgeschobenen, Flüchtenden, Marginalisierten, Suchenden, Bedrohten und Weltrettern oder Welteroberern.“
Brauen, Martin TRAUMWELT TIBET
Folgt man Alfred Marquart und C. AUGUSTE DUPIN MEETS EDGAR ALLAN POE, so handelt es sich bei Holmes‘ Vater um Dupin, Edgar Allan Poes berühmten Detektiv. Der Film YOUNG SHERLOCK HOLMES bekam natürlich auch eine gleichnamige Romanumsetzung, geschrieben von Alan Arnold. Dieser Roman widerspricht an vielen Stellen dem Holmes-Kanon (erstes Kennenlernen von Watson und Holmes, die Rolle Moriartys …); außerdem passt er eher in die Reihe der INDIANA JONES-Filme als zu Holmes. Konsequenter ist Baring-Gould in seiner unübertroffenen Holmes-Biographie vorgegangen, der nichts, aber auch wirklich nichts über Vergangenheit und Vorgeschichte von Holmes auslässt – aber immer sieht man ihn im Geiste spitzbübisch grinsen, wenn er wieder einmal eine Verbindung zur Familie Challenger oder anderen fiktiven Persönlichkeiten der Romanwelt (von Doyle wie von anderen Autoren) zieht. Dass es sich bei Sherlock Holmes um Jack the Ripper handelt, ist schon eine interessante These. Mit dieser Idee behandelt sich unter anderem das Sachbuch THE BAKER STREET IRREGULAR von Austin Mitchelson, das am Ende auch eine Liste der Verbrechen von Sherlock Holmes aufführt, die er selbst in seinen Erzählungen begeht. Absolut unterhaltsam ist Ellery Queens SHERLOCK HOLMES UND JACK THE RIPPER (mit dem schönen Untertitel „Eine Studie des Schreckens“). Ein tolles Buch mit einer eigenartigen Kooperation von Ellery Queen und Sherlock Holmes. In den Jahren, in denen Holmes nach seinem vermeintlichen Tod an den Reichenbachfällen verschollen war, spielen eine Menge Werke. Immerhin ist über diese Jahre fast nichts bekannt; sie bieten sich förmlich für das Lückenschließen an. Holmes eigener Kommentar, er sei in Tibet gewesen, erzeugte mit SHERLOCK HOLMES – DAS MANDALA DES DALAI LAMA von Jamyang Norbu nicht nur eine ausgesprochen gut zu lesende Hommage an den „Meister“, der hier mit Rudyard Kiplings Kim zusammenstoßen lässt.
3.2. Um die Ecke
Die Holmes-Romane sind reich an Nebenfiguren, die im Laufe der Erzählungen eigene Persönlichkeiten gewinnen. Sherlocks älterer Bruder Mycroft hat auch diverse Romane erhalten, in denen er der Held ist. Irene Adler ist die Heldin in der Reihe von Carole Nelson Douglas, die mit GOOD NIGHT, MR. HOLMES beginnt. Professor Moriarty erfährt seine Würdigung durch Michael Kurland, der auch schon die LORD DARCY-Serie von Randall Garrett weitergeschrieben hat. In den Romanen THE INFERNAL DEVICE und DEATH BY GASLIGHT entpuppt sich Holmes‘ Gegenspieler als Genie, aber nicht als Verbrecher.
3.3. Fremde Akteure
Es gibt Romane, in denen Arthur Conan Doyle der Held ist. Oder in denen die Ereignisse in seinem Leben sich in Holmes-Romanen wiederspiegeln. Oder oder oder … So ist Doyles Faszination für das Übernatürliche einer der Aufhänger für die Geschichte in Dominik Irtenkaufs HOLMES UND DAS ELFENFOTO, obwohl es nicht um Doyle geht, sondern um den großen Detektiv. Ich habe auf Seite 20 das Lesen eingestellt, als mich folgender Absatz hemmte: „Meine Ausbeute war eher dürftig. Ich versuchte, eine Liste der in London ansässigen Fotografen anzufertigen, scheiterte aber an der Wechselhaftigkeit der in diesem Gewerbe Tätigen. Fing jemand mit der Technik an und geriet in Ahnungslosigkeit, was die Fortentwicklung anging, sattelte er oft wieder auf die Portraitmalerei um. Ich zeigte Holmes die Liste, der sie kopfschüttelnd durchsah.“ Und das Buch ist nicht einmal eine Übersetzung … Einen Gastauftritt hat Doyle selbst in DER MANN, DER SHERLOCK HOLMES WAR von R. A. Stemmle. Der gleichnamige Film mit Albers und Rühmann dürfte allgemein bekannt sein. Auch Albert Einstein darf auf Sherlock Holmes treffen, nämlich in EINSTEIN UND SHERLOCK HOLMES von Alexis Lecaye.
3.4. Nebenlinien
Im Grunde gehören auch die NERO WOLFE-Romane in den Holmes-Kanon, wenn man der These folgen kann, dass Nero Wolfe der Sohn von Sherlock Holmes ist. Rex Stout (und später Robert Goldsborough) haben diese Serie geschrieben, die sich über Dutzende Romane zieht (und eigentlich immer gut lesbar ist). Beginnend mit FER-DE-LANCE schildert Rex Stout einen übergewichtigen Detektiv in der Tradition von Holmes – der Körper von Mycroft, aber das Gehirn von Sherlock Holmes.
4. Phantastik
„»Das ganze Leben ist eine einzige große Kette, deren Form und Beschaffenheit wir verstehen, sobald wir nur ein einziges ihrer Glieder zu sehen bekommen.« (Eine sehr ähnliche Ansicht drückt Holmes in seinem Artikel »Das Buch des Lebens« [»The Book of Life«] aus, den Watson – eher verächtlich – in »Eine Studie in Scharlachrot« erwähnt, dem ersten veröffentlichten Bericht über seine erste Begegnung mit dem großen Detektiv. Es ist bemerkenswert, dass weder Watson noch die ganzen nachfolgenden Generationen von Holmes-Forschern diesen eindeutig spirituellen Wesenszug in Holmes‘ Charakter bemerkt haben.)“
Jamyang Norbu DAS MANDALA DES DALAI LAMA
So, wir gelangen endlich in das Herz dieser Darstellung. Sherlock Holmes hat scheinbar mit allem zusammengearbeitet, was die Phantastik bietet. Da ist Dracula zuerst zu nennen, so in Fred Saberhagens THE HOLMES-DRACULA FILE oder in Loren D. Estlemans SHERLOCK HOLMES VS. DRACULA OR THE ADVENTURE OF THE SANGUINARY COUNT. Mit dem Phantom der Oper beschäftigt man sich in SHERLOCK HOLMES UND DAS PHANTOM DER OPER von Nicholas Meyer. In weitere literarische Welten gibt sich Holmes bei seinem Übertritt in die Welt von Anthony Hopes THE PRISONER OF ZENDA in David Stuart Davies‘ SHERLOCK HOLMES AND THE HENTZAU AFFAIR. Damit ist Hopes Ruritanien im Holmes-Kosmos angekommen. H. G. Wells selbst arbeitete mit Holmes in SHERLOCK HOLMES UND DER SCHRECKEN VON SUMATRA von Jörg Kastner zusammen. Nette Unterhaltung, mehr nicht. Um eine literarische Schöpfung Wells‘ geht es in DOCTOR WATSON AND THE INVISIBLE MAN von Noel Downing. Natürlich muss (naja) Holmes auch im CTHULHU-Universum von H.P. Lovecraft eine Rolle spielen. Nicht immer stark sind die Kurzgeschichte in dem von Michael Reaves und John Pelan herausgegebenen SCHATTEN ÜBER BAKER STREET (mit dem Untertitel „Mörderjagd in Lovecrafts Welten“), obwohl mit Neil Gaiman, Brian Stableford und Richard A. Lupoff gute Autoren des Genres vertreten sind (die aber nicht den Großteil der Geschichten stellen). Nette Unterhaltung. Besser ist SHERLOCK HOLMES IM REICH DES CTHULHU von Klaus-Peter Walter, das nicht nur durch das Einbauen von Edgar Wallace spannend zu lesen ist. Mit Zeitmaschinen und einer zeitreisenden Truppe von Holmes-Vertrauten beschäftigen sich die Romane um Sharon Holmes von Mike Maurus und Ulrich Bader. Sie richten sich an ein eher jugendliches Publikum; natürlich sind sie schön geschrieben und sehr gut aufgemacht, aber sie sind für mich keine Holmes-Romane. Eigenartige Maschinen und eigenartige Erfinder waren auch öfters Holmes Gegner. In SHERLOCK HOLMES – DIE ERDBEBENMASCHINE von Mitchelson & Utechin verrät der Titel die betreffende Maschinerie; der sehr triviale Titel täuscht darüber hinweg, dass dies ein ausgesprochen lesbarer Holmes ist. Es gibt völlig unlesbare Holmes-Pastiches. Mehr als eins. Zwanzig Seiten habe ich von THE LEAGUE OF HEROES (Mauméjean/Chevalier) geschafft, dann fing mein Gehirn an zu bluten. Lord Kraven, Sherlock Holmes, Lord Greystoke, Professor Cavor, Captain Hook, Peter Pan … alle in einem Buch, das erträgt niemand.
5. Eigenartiges
„Ich kenne die Konvention von Genf, und Sie werden mich nicht mit einem Namens-Bann belegen. Sherringford Mycroft ist mein offizieller Heini Meier.“
Poul Anderson OPERATION CHAOS
Als Tiere erleben wir Sherlock Holmes und Dr. Watson in Stefan Alberts SPECKLOCK HOLMES ERMITTELT IN ÄGYPTEN mit dem schönen Untertitel „Die spannendsten Fälle des weltberühmten Mäusedetektivs – notiert von Dr. Knabberson“. Dies ist eigentlich kein Krimi, sondern es sind Krimigeschichten für Kinder, die eher der christlichen Erbauung dienen sollen. Nix für mich.
6. Sekundäres
„Given his compulsion for excellence in all things, Holmes probably insisted upon cocaine from the firm of E.M. Merck, of Darmstadt, in Hesse, then as now the premier pharmaceutical house of Europe (…).“
Jim und Jack Tracy Berkey SUBCUTANEOUSLY, MY DEAR WATSON
„Darmstadt, Karlsruhe, Stuttgart, Mannheim, Munich, Heidelberg – the carriage covered thousands of kilometres over bad roads (…), the [Holmes-, HR] family jostling within. “
W.S. Baring-Gould SHERLOCK HOLMES
Ja, ich gebe es zu, ich bin Darmstädter Lokalpatriot und trotzdem Fan des Londoner Detektivs. Aber nicht alles, auf dem „Holmes“ draufsteht, landet in meiner Sammlung, wie man auf den letzten Absätzen erkannt haben dürfte. Das groß angepriesene SHERLOCK HOLMES HANDBUCH (herausgegeben von Zeus Weinstein) ist verdruckt, es fehlen zwei Seiten, die man sich vom Verlag zwar als PDF zuschicken lassen kann, aber ich bin da Purist und ärgere mich nur über so etwas. Also: keine Empfehlung.
7. Abschließendes
Der Holmes-Kosmos ist schön, gut zu lesen und immer unterhaltsam (eine Welt, in der es immer 1895 ist … ja, davon kann man träumen). Aber es ist auch eine Welt für Sammler, die immer wieder einen „neuen“ Holmes auftreiben und sich mit einer Pfeife im Mund zurückziehen, um für einige Stunden wieder in „ihre“ Welt eintauchen. Ob ein „phantastischer Holmes“ im Einzelfall funktioniert – das Lesen wird es weisen. Ich wollte Lotse sein, Reiseführer, Leseempfehlung. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
8. Literatur Albert, Stefan SPECKLOCK HOLMES ERMITTELT IN ÄGYPTEN, Gießen, 2004 Anderson, Poul OPERATION CHAOS, München, 1973 Arnold, Alan YOUNG SHERLOCK HOLMES, London, 1986 Baring-Gould, W.S. SHERLOCK HOLMES, St Albans/Herts, 1975 Berkey, Jim und Jack Tracy SUBCUTANEOUSLY, MY DEAR WATSON, Bloomington/Indiana, 1978 Brauen, Martin TRAUMWELT TIBET, Bern/Stuttgart/Wien, 2000 Compart, Martin (Hrsg.) DAS SHERLOCK HOLMES BUCH, Frankfurt/Main & Berlin, 1987 Davies, David Stuart Sherlock HOLMES AND THE HENTZAU AFFAIR, Romford/Essex, 1991 Douglas, Carole Nelson GOOD NIGHT, MR. HOLMES, New York, 1990 Downing, Noel DOCTOR WATSON AND THE INVISIBLE MAN, Romford/Essex, 1991 Doyle, Adrian Conan und John Dickson Carr SHERLOCK HOLMES’ NACHLASS 1, Hamburg, o.J. Doyle, Adrian Conan (und John Dickson Carr) SHERLOCK HOLMES’ NACHLASS 2, Hamburg. o.J. Doyle, Arthur Conan A STUDY IN SCARLET & THE SIGN OF THE FOUR, London, 2004 Doyle, Arthur Conan THE CASEBOOK OF SHERLOCK HOLMES & HIS LAST BOW, London, 1993 Doyle, Arthur Conan THE RETURN OF SHERLOCK HOLMES, London, 1995 Doyle, Arthur Conan THE ADVENTURES AND MEMOIRS OF SHERLOCK HOLMES, London, 1996 Doyle, Arthur Conan THE HOUND OF THE BASKERVILLES & THE VALLEY OF FEAR, London, 1999 Doyle, Arthur Conan & Reinhardt-Jost, Sabine DIE NEUE KATAKOMBE, Stuttgart, 1985 Ellison, Harlan „Introduction“ in Gaiman, Neill THE SANDMAN: SEASON OF MISTS, New York, 1992 Estleman, Loren D. SHERLOCK HOLMES VS. DRACULA OR THE ADVENTURE OF THE SANGUINARY COUNT, London, 1978 Goldsborough, Robert DEATH ON DEADLINE, New York, 1987 Goldsborough, Robert MURDER IN E MINOR, New York, 1986 Haddon, Mark THE CURIOUS INCIDENT OF THE DOG IN THE NIGHT-TIME, London, 2003 Hillich, Reinhard „Nachwort“ in Doyle, Arthur Conan DAS FIASKO VON LOS AMIGOS, Zürich, 2000 Irtenkauf, Dominik HOLMES UND DAS ELFENFOTO, o.O., 2009 Kastner, Jörg HOLMES UND DER SCHRECKEN VON SUMATRA, Bad Tölz, 1997 Kaye, Marvin (Hrsg.) THE GAME IS AFOOT, New York, 1994 Kurland, Michael THE INFERNAL DEVICE AND OTHERS, New York, 2001 Lai, Rick „The Secret History of Captain Nemo“ in Eckert, Win Scott (Hrsg.) MYTHS FOR THE MODERN AGE, Austin/Texas, 2005 Lecaye, Alexis EINSTEIN UND SHERLOCK HOLMES, Frankfurt/Main, 1990 Lellenberg, Jon L. NOVA 57 MINOR, Bloomington/Indiana, 1990 Lycett, Andrew CONAN DOYLE. THE MAN WHO CREATED SHERLOCK HOLMES, London, 2007 Marquart, Alfred C. AUGUSTE DUPIN MEETS EDGAR ALLAN POE, Stuttgart, 1985 Mauméjean, Xavier, adapted by Manuella Chevalier THE LEAGUE OF HEROES, Encino/California, 2005 Maurus, Mike & Ulrich Bader SHARON HOLMES – DIE GESTRANDETE ZEITMASCHINE, Köln, 2009 Maurus, Mike & Ulrich Bader SHARON HOLMES UND DER ENTFÜHRTE PHARAO, Köln, 2009 Meyer, Nicholas SHERLOCK HOLMES UND DAS PHANTOM DER OPER, Bergisch Gladbach, 1994 Mitchelson, Austin THE BAKER STREET IRREGULAR, Romford, Essex, 1994 Mitchelson, Austin & Nicholas Utechin SHERLOCK HOLMES – DIE ERDBEBENMASCHINE, Hamburg, o.J. Norbu, Jamyang DAS MANDALA DES DALAI LAMA, Bergisch Gladbach, 2004 Pelan, John & Michael Reaves (Hrsg.) SCHATTEN ÜBER BAKER STREET, Bergisch-Gladbach, 2005 Postma, Heiko „EXZELLENT!“ RIEF ICH. „ELEMENTAR“, SAGTE ER, Hannover, 2008 Pugh, Brian W. & Paul R. Spring AUF DER SPUR VON ARTHUR CONAN DOYLE, Mannheim, 2008 Queen, Ellery SHERLOCK HOLMES UND JACK THE RIPPER, Köln, 1989 Ross, Michael „Der Statist, der Gauner und der Mann, der Sherlock Holmes war“ in Ross, Michael (Hrsg.) SHERLOCK HOLMES IN FILM UND FERNSEHEN, Köln, 2003 Saberhagen, Fred THE HOLMES-DRACULA FILE, New York, 1989 Stemmle, R.A. DER MANN DER SHERLOCK HOLMES WAR, München, Berlin, 1978 Stout, Rex FER-DE-LANCE, New York, 1988 [Org. 1934] Walter, Klaus-Peter SHERLOCK HOLMES IM REICH DES CTHULHU, o.O., 2008 Weinstein, Zeus SHERLOCK HOLMES HANDBUCH, Zürich, 2009
Wolfreys, Julian „Introduction“ in Doyle, Arthur Conan THE ADVENTURES AND MEMOIRS OF SHERLOCK HOLMES; Ware, Hertfordshire, 1996