George & ich: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 26. November 2023, 13:23 Uhr

George R. R. Martin vor „Game of Thrones“

Als ich in den frühen 80er Jahren anfing, mich aktiv mit Fantasy zu beschäftigen, war George R. R. Martin noch kein Thema. Martins erste Veröffentlichung auf Deutsch war ein Artikel im Magazin „Comet“ über Schachcomputer, erschienen 1977.[1] Der Titel war unfassbarerweise „Der Computer war ein Fisch“.[2]
In der 1981 erschienenen und von uns als Fans begeistert gelesenen Doktorarbeit „Fantasy – Theorie und Geschichte“ von Helmut W. Pesch gab es Martin als Stichwort noch nicht. 1980 beschrieb ihn das im Heyne-Verlag erschienene „Lexikon der Science Fiction Literatur“ noch folgendermaßen:
„Martin gilt als ein SF-Nachwuchsschriftsteller, der zu größten Hoffnungen berechtigt.“
25 Jahre später habe ich an dem „Lexikon der Fantasy-Literatur“ mitgearbeitet. 2005 schrieben wir dort über ihn und die 1996 gestartete Serie „A Game of Thrones“:
„Insgesamt dürfte der auf inzwischen mindestens sechs Bände konzipierte Zyklus zu einem der ganz großen Werke der Fantasy heranwachsen, meisterhaft durchdacht und meisterhaft geschrieben.“[3]
Irgendwas ist also in diesen 25 Jahren passiert – vom Nachwuchsschriftsteller zum großen Meister der Fantasy.
1980 war Martin 32 Jahre alt. Er hatte schon zwei Jahre als Zivildienstleistender gearbeitet und es geschafft, sich in der Science Fiction-Szene einen Namen zu machen So war er mehrmals für die wichtigen Preise – den „Hugo“ und den „Nebula“ – vorgeschlagen worden. Damals mit einer Science Fiction Autorin liiert – Lisa Tuttle – schrieb man gemeinsam, die weitere Karriere erschien vorgeprägt. Martin selbst war damals höchstens noch dafür bekannt, dass er ein Comic-Fan war. Er war der erste, der – noch grob minderjährig – 1964 eine Karte für den ersten Comic Con in den USA erwarb, seine Leserbriefe erscheinen in „Marvel“-Comics, als das Ganze noch ein Territorium für absolute „Nerds“ war.[4]
Der deutsche Markt wurde auch dementsprechend bedient. In den frühen 80er Jahren war Martin auf der einen Seite als Kurzgeschichtenautor vermarkt worden – von „Lieder von Sternen und Schatten“ (1979) über „Die zweite Stufe der Einsamkeit“ (1982) bis „Sandkönige“ und „Im Haus des Wurms“ (beide 1985). Die SF-Kurzgeschichtenserie „Tuf Voyaging“ aus den 80ern erschien erst 2013 auf Deutsch, dann als „Planetenwanderer“ mit dem dicken Aufkleber „Vom Game of Thrones Bestsellerautor“.
Bei den Kurzgeschichten waren schon einige Perlen enthalten, die vermuten ließen, dass Martin in der Lage war, bleibende Erinnerungen zu erzeugen. So ist „Die Ausfahrt nach San Breta“ (erschienen in „Die zweite Stufe der Einsamkeit“) eine moderne Horror-Geschichte, eine Art „Fliegender Holländer“ auf dem Highway, während „Nachtschicht“ (in „Lieder von Sternen und Schatten“) eine Art Trucker-Science Fiction sein könnte.
Und dieselben Jahre waren es auch, in denen Martin seine – für mich – klassischen drei Romane schrieb.
Der erste, „Die Flamme erlischt“, kam 1978 auf Deutsch heraus. Er gehört zu einem großen Science Fiction-Universum, das Martin immer wieder als Hintergrund für vereinzelte Geschichten benutzt hat. Es geht in diesem Roman um Freundschaft, um Liebe – irgendwie eine Art „Casablanca“ im Weltraum, wenn man das kurz zusammenfassen will.
„Fiebertraum“, sein großer Vampir-Roman, erschien 1982 auf Deutsch. Den neuen deutschen Titel, „Dead Man River“, finde ich nicht so glücklich gewählt, aber man kann nicht alles haben. „Fiebertraum“ trifft es besser – eine Reise über den Mississippi, startend 1857, gepaart mit Vampiren und einer längeren Diskussion der Frage, was eigentlich Freundschaft ist. Wie auch in „Die Flamme erlischt“ hat der Roman einen Epilog, in dem es eigentlich nur um die Unsterblichkeit der Freundschaft geht.[5]
Dann – Nummer 3. „Armageddon Rock“, geschrieben 1983, auf Deutsch erschienen 1986. Ich arbeitete damals neben dem Studium für diverse Verlage, unter anderem auch für „Fantasy Productions“, die Herausgeber von Martin in Deutschland. Ich hatte mir das Buch gekauft, weil ich Martin interessant und Rockromane gut fand. Der Untertitel „Ein Langspiel-Roman in Stereo“ reizte mich, und ich bestellte. Was soll ich sagen, ab dem Einstieg war ich „hooked“:
„Es war nicht gerade einer von Sandy Blairs allerbesten Tagen. Natürlich hatte sein Agent die Rechnung für den Lunch bezahlt, aber das machte nur zum Teil wieder wett, wie er auf Sandys Argumente bezüglich des Abgabetermins für den Roman reagiert hatte.“[6]
Ich las den Roman.
Ich las den Roman erneut.
Ich las den Roman zum dritten Mal.
Dann rief ich Werner Fuchs, den Chef von „Fantasy Productions“ an und fragte ihn, was eine signierte Ausgabe kosten würde. Eine Palette von „Armageddon Rock“, so wurde mir beschieden. Dankenswerterweise hatte ich die vorhergehenden Tage mit der Frage verbracht, wie ich das leicht anrüchige Erbe meiner faschistischen Großtante Hildchen einsetze, ohne dass ich mich dafür schämen müsste. Die Kombination aus meiner deutschtümelnden Großtante, die mich nur nicht wegen meiner langen Haare und meiner linken Einstellung enterbt hatte, weil sie es am Ende in der Demenz vergaß, mit dem langhaarigen, linken Autor George R. R. Martin gefiel mir. Ich investierte also das ganze Erbe – damals für mich als Student ein kleines Vermögen, nämlich über 3000 Mark – in die Palette „Armageddon Rock“, netterweise im Peis vergünstigt samt Mitarbeiterrabatt. Werner Fuchs atmete hörbar schwer ein und aus, dann bestand er auf Vorkasse, lieferte aber genauso geduldig aus. Dazu per Einschreiben mein signiertes Exemplar.
Ich habe das Buch an jeden Menschen verschenkt, den ich kannte, und nur um eine Gegenleistung gebeten: Um die Beantwortung der Frage „Hättest du geschossen?“
Aus nachvollziehbaren Gründen will ich daher nichts Hier und Jetzt zum Inhalt sagen außer: erwerben Ssie heute Nacht noch online die Taschenbuchausgabe für kleines Geld, lesen sie diese und vielleicht verstehen Sie dann, wie ich mich fühlte.
Über 10 Jahre später, 1995, war ich Gast auf dem Science Fiction-Weltcon in Glasgow. Irgendwann huschte mir Werner Fuchs vor den Füßen vorbei, murmelte „Gut dass ich dich treffe, halte dir heute 15.00 Uhr bis 16.00 Uhr frei, komme in die Mitte des Händlerraums und bringe einen Freund mit, wenn du magst.“ Ich kannte Werner nun schon eine Weile und hoffte zumindest auf eine nette Präsentation vor Ort und freien Kaffee.
In der Mitte des Händlerraums war ein Areal abgesperrt, in dem die großen Autoren wichtige Termine hatten. Und während also Groupies und Nerds an den Abfangseilen kauten, bekamen mein Freund Klaus – eigentlich Klaus N. Frick, Chefredakteur von „Perry Rhodan“ – und ich eine Stunde Kaffee und Kuchen alleine mit George R. R. Martin. Inmitten des Weltcons wollte George (ja, wir sollten ihn duzen, was im Englischen sowieso einfacher ist) von mir wissen, wer der Depp sei, der vor 10 Jahren die komplette Restauflage von „Armageddon Rock“ im Hardcover gekauft hat. Ich erzählte von meiner faschistischen Großtante, wir lachten viel, er fragte, wie seine neuen Sachen mir gefallen würden. Auf meine Rückfrage, ob er die Wahrheit hören wollte, nickte er. Also erzählte ich, dass ich nach „Wild Cards“ keine Lust mehr hätte, auf halbfertigen Serien sitzen zu bleiben. Er lachte und meinte, das würde mit seiner neuen Fantasy-Serie nicht passieren. Ich lachte auch und meinte, dass ich sie lese, wenn sie komplett ist. Das ist der Stand bis heute, 24 Jahre später.
Ganz unfair ist meine Einschätzung nicht. Ein Beispiel aus meiner Martin-Lesesucht muss ausreichen. Martin war begeisterter Fantasy-Rollenspieler. Aus der „Superworld“-Kampagne, die er selbst leitete, entstand die ab 1987 veröffentlichte „shared world“-Serie „Wild Cards“.[7] Ich habe gekauft, was erhältlich war. Und: Bis heute ist die Serien nicht vollständig, aber die ersten 12 Bände liefern eine mehr oder weniger abgeschlossene Handlung.
Martin weiß das selbst. Er schreibt:
„Meine Karriere ist mit Serienleichen gepflastert.
Ich startete meine „Star Ring“-Serie mit „Die zweite Stufe der Einsamkeit“ und „Auch nicht des Sternenrings vielfarbenes Feuer“, verlor dann das Interesse und schrieb niemals eine dritte Geschichte.
„A Peripheral Affair“ sollte von den weiteren Abenteuern des Sternenschiffs Mjolnir (…) gefolgt werden. Keine erschien jemals, aus dem einfachen Grund, weil sie nie geschrieben wurden.
Meine „Corpse“-Serie brachte es auf drei Geschichten (…). Eine vierte Geschichte existiert als vierseitiges Fragment, und in meinen Notizen finden sich Ideen für ein weiteres Dutzend Storys. (…).
Mit der Windhaven-Serie machte ich es etwas besser, vielleicht weil ich dort mit Lisa Tuttle zusammenarbeitete und daher jemand zur Stelle war, der mir einen sanften Tritt verpasste, wenn meine kreative Energie nachließ (…). (…) Wir schreiben die Fortsetzung nie.“[8]
Nach seinen Lieblingsautoren befragt, nennt Martin immer wieder die Phantastik-Klassiker von J. R. R. Tolkien mit „Mittelerde“ über Robert E. Howard mit „Conan“ und H. P. Lovecraft mit seinem „Cthulhu“-Kosmos bis hin zu Fantasy-Altmeister Jack Vance.[9]
Viel später[10] schrieb Martin dazu selbstironisch:
„Die Fantasy und ich sind alte Bekannte.
Fangen wir am besten am Anfang an, denn es gibt einige eigenartige und weitverbreitete Irrtümer. Einerseits habe ich Leser, die vor Ein Lied von Eis und Feuer noch nie von mir gehört haben und offenbar felsenfest davon überzeugt sind, dass ich nie etwas anderes geschrieben habe als Fantasy-Epen. Andererseits gibt es da die Leute, die all mein altes Zeug gelesen haben und darauf bestehen, ich sei ein SF-Autor, der schändlicherweise zur Fantasy übergelaufen ist.
Tatsächlich aber habe ich seit meiner Kindheit (…) Fantasy gelesen und geschrieben (Horror übrigens auch). Meine erste Veröffentlichung mag SF gewesen sein, aber die zweite war eine Geistergeschichte (…).“[11]
Aber es war etwas anderes, das Martin von den Fleischtöpfen der Science Fiction weglockte: Das Fernsehen. In den 80er Jahren arbeitete er für „Twilight Zone“ – in Deutschland unter „Unwahrscheinliche Geschichten bekannt. Dazu arbeitete er für „The Beauty and the Beast“ und „Max Headroom“. Er schrieb Entwürfe für Serien, die nie realisiert wurden – Namen wie „Black Cluster“, „The Survivors“, „Starport“ und „Doorways“, zu der es wenigstens einen Pilotfilm gibt, lassen Hoffnungen aufkeimen …[12]
In den Jahren seitdem hatte ich mit Martin – oder eher: seinem Umfeld – nur am Rande zu tun. 2003 druckten wir in unserem Fantasy-Jahrbuch „Magira“ ein Interview mit „ihm“ ab. 2005 übersetzten wir für das Jahrbuch „Der Eisdrache“ als erste ins Deutsche. Leider hat es „meine“ Martin-Erstausgabe wieder in die Sekundärliteratur noch auf die deutsche Wikipedia geschafft. Man kann nicht alles haben.
Ich selbst bleib der Science Fiction treu, neben einigem an Fantasy. So arbeite ich heute noch nebenberuflich für „Perry Rhodan“, schreibe Artikel zum Thema und halte Vorträge wie den heute.
Zum Ende einmal Martin, der in einem seiner Texte die Frage beantwortet, warum er Fantasy liebt:
„Ich denke, wir lesen Fantasy, um die Farben wiederzufinden. Um intensive Gewürze zu schmecken und dem Gesang der Sirenen zu lauschen. In der Fantasy liegt etwas Ursprüngliches, Wahrhaftiges, das uns tief in unserem Inneren anspricht und das Kind in uns erreicht, das davon träumte, dereinst im Nachtwald auf die Jagd zu gehen, zu Füßen der Hollow Hills ein Festgelage abzuhalten und irgendwo zwischen dem südlichen Oz und dem nördlichen Shangri-La die Liebe zu finden, die ein Leben überdauert.
Ihren Himmel können sie behalten. Wenn ich sterbe, gehe ich lieber nach Mittelerde.“[13]
Dem kann ich mich nur anschließen, aber im wähle lieber „Narnia“ oder Folkwang. Und „Narnia“ hat einen Vorteil – es ist fertig.
Danke.

Verwendete Literatur

  • Alpers, Fuchs, Hahn, Jeschke „Lexikon der Science Fiction-Literatur“ (2 Bände), München, 1980
  • Alpers, Fuchs, Hahn, Munsonius, Urbanek „Lexikon der Fantasy-Literatur“, Erkrath, 2005
  • Cogan, Eric „Ein Interview mit George R. R. Martin“ in Ritter & Scheuch (Hrsg.) „Magira 2002“, Darmstadt, 2002
  • Lorenz, Stefan „Vampire auf dem Mississippi“ in Ritter & Scheuch „Magira 2011“, Darmstadt, 2011
  • Martin, George R. R. „Armageddon Rock“, Düsseldorf, 1986
  • Martin, George R. R. „Dead Man River“, Erkrath, 2006
  • Martin, George R. R. „Der Eisdrache“ in Ritter & Scheuch „Magira 2005“, Darmstadt, 2005
  • Martin, George R. R. „Die Flamme erlischt“, Erkrath, 2003
  • Martin, George R. R: „Die zweite Stufe der Einsamkeit“, Rastatt, 1982
  • Martin, George R. R. „GRRM – Eine Rretrospektive“, Band 1, Erkrath, 2014
  • Martin, George R. R. „GRRM – Eine Rretrospektive“, Band 2, Erkrath, 2014
  • Martin, George R. R. „Im Haus des Wurms“, Frankfurt/Main, Berlin, Wien, 1985
  • Martin, George R. R. „Lieder von Sternen und Schatten“, München, 1979
  • Martin, George R. R. „Planetenwanderer“, München, 2013
  • Martin, George R. R. „Sandkönige“, Frankfurt/Main, Berlin, Wien, 1985
  • Pesch, Helmut W. „Fantasy – Theorie und Geschichte“, o.O. (Passau), o.J. (1982)



  1. Vgl. Martin „GRRM – Eine Rretrospektive 2“, S. 335
  2. Siehe Martin „GRRM – Eine Rretrospektive 2“, S. 335
  3. Alpers, Fuchs, Hahn, Munsonius, Urbanek „Lexikon der Fantasy-Literatur“, S. 295
  4. Vgl. www.syfy.com/syfywire/who-bought-first-ticket-first-comics-con-64-george-rr-martin; 13.04.2019
  5. Vgl. Lorenz, S. 254 f.
  6. Martin „Armageddon Rock“, S. 11
  7. Vgl. Martin „GRRM – Eine Rretrospektive 2“, S. 229
  8. „GRRM – Eine Rretrospektive 2“, S. 7 f.
  9. Nach Cogan, S. 68 f.
  10. Im Jahre 2003.
  11. Martin „GRRM – Eine Rretrospektive 1“, S. 325
  12. Vgl. Martin „GRRM – Eine Rretrospektive 2“, S. 94
  13. Martin „GRRM – Eine Rretrospektive 1“, S. 333