Deutsche Dämonen: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 29. Mai 2022, 09:55 Uhr
Monica Black
Deutsche Dämonen
Hexen, Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland
Org.: A Demon-Haunted Land (2020)
Klett-Cotta, 2021
423 Seiten
Für die Nachkriegszeit gibt es keine Untersuchung für das Auftauchen von Heilern mit auf der germanischen Mythologie fußenden Hintergrund – zumindest keine, die mir bekannt wäre. Dieses Buch schließt die Lücke nicht, aber es liefert Streiflichter in eine Welt, die uns fremd ist.
Formal geht es um Bruno Gröning und sei Leben und Wirken in Kapiteln wie „Das Wunder von Herford“ oder „Messias in München“. Gröning, jener Heiler mit den stechenden Augen und dem vorquellen Kropf, der Silberpapierkugeln verteilte und vom Heilstrom sprach. Eine messianische Figur in schlichter Kleidung, ein charismatischer Heiler, der in meinem Wohnort Herford immer noch Thema für Stadtführungen ist (gebucht und überprüft). Über ihn heißt es bei Black: „Gröning war zwar nicht der einzige Geistheiler der Nachkriegszeit mit einer Massengefolgschaft, aber er war mit Abstand der bekannteste.“ Das belegt sie mit vielen Artikeln aus großen Publikumszeitschriften, so dass es umso erstaunlicher ist, dass Gröning heute fast vergessen ist.
Black beschreibt eine Ära, in der Wunderheilungen sehr wohl noch an der Tagesordnung sind. Über die Moderne heißt es bei ihr: „Zu Deutschlands äußerst vielfältig strukturiertem Gesundheitswesen gehörten auch die seit langem zugelassenen Traditionen der Volks- und Zauberheilkunst.“ Diese Tradition kollidiert in der Zeit des deutschen Wiederaufbaus mit den psychischen Problemen der Bevölkerung, Black nennt es ein „existentielle[s] und seelische[s] Territorium“, spricht von Hexerei als einer „Sprache der sozialen Konflikte“ . Sie nennt diesen Einblick „ein Portal in ein von Dämonen heimgesuchtes Land“.
Und dieses Land in dieser Zeit hat es in sich: „Eine 1959 veröffentlichte Untersuchung zeigte, dass es in der Zwischenkriegszeit acht »Hexenprozesse« gegeben hatte, während des Dritten Reiches deren elf; aber in der unmittelbaren Nachkriegszeit – oder, genauer, in den Jahren von 1947 bis 1956 – waren es 77 Verfahren dieser Art.“ Das Buch liefert Streiflichter auf das, was wir eigentlich beobachten wollen, wenn wir uns mit Magie und damit auch Heilung beschäftigen. Über Gröning schreibt Black: „Gröning war in der Tag ein religiöser Heiler, aber er war nicht der Typ, der am Bett der Leidenden fromme Gebete flüsterte. Die Spiritualität seiner Medizin umfasste mehr als nur einen Aspekt. Einerseits sprach er von Gott und von göttlicher Energie, andererseits von »bösen Leuten«, die Baumwurzeln mit dämonischen Geistern infizierten und Krankheiten über ihre Nachbarn brächten.“ Black schreibt dann gleich erklärend, dass dieser Begriff der „bösen Leute“ ein anderes Wort für Hexen sei.
Sie hat eine interessante Definition für Hexerei zu bieten: „Hexerei ist (…) ein kulturelles Idiom, eine Möglichkeit, schlimme Dinge, die uns widerfahren, zu verstehen und zu erklären.“ Zu den von ihr erwähnten Anwendungen gehören „sich am Ostermorgen vor Tagesanbruch in einem fließenden Wasser zu waschen“ , Amulette , das „Überleiten einer Krankheit“ , das „Besprechen“ (Besprechen: „eine Heilmethode, die auf Zauberformeln, Gesten und Worte setzte“ ; später findet sich noch die Beschreibung eines ganzen Vorgangs des Besprechens ), außerdem das Infizieren von Baumwurzeln mit dämonischen Geistern.
Über diese Praktiken schreibt sie: „Deutsche Volkskundler in den 1930er, 1940er und 1950er Jahren (…) neigten zur Verehrung von Praktiken, in denen sie die Verkörperung altgermanischer, vorchristlicher Wissensformen sahen, die sich im mutmaßlich unveränderlichen »Bernstein« eines ländlichen Lebensumfelds erhalten hatten.“ Über die Volkskunde schreibt sie: „All dies zog einen weitgehend nicht historisch motivierten Versuch nach sich, in die aktuellen volkstümlichen Praktiken und in die mündliche Überlieferung eine wesentliche, dauerhafte Spur uralter germanischer Traditionen, Überzeugungen und Bräuche hineinzulesen.“ Da finden wir uns selbst wieder, wenn wir als Heiden nach Überlieferungen suchen – die nicht 2000 Jahre von uns entfernt sind, sondern 60 Jahre.
Und manchmal trifft Black – aus der falschen Richtung schießend – trotzdem formulierend ins Schwarze: „Kurz gesagt: Die Macht wie auch die Wirksamkeit von Zaubersprüchen beruhen darauf, dass sie uralt sind, heroisch, mit Legenden in Verbindung stehen – und vollkommen verschieden sind von dem, was ihre Sprecher als alltäglich empfinden.“
Am Ende bleibt immer eine Frage für sie: „Wenn das Böse die Krankheit ist, was ist die Heilung?“ Wenn man bereit ist, sich an dieser Frage und der Vita Grönings abzuarbeiten, dann ist dieses Buch (auch dank der vielen Fußnoten und Verweise) eine Goldgrube.
Interessant sind weiterhin die Randbereiche, wo sie – wissentlich oder unwissentlich – die Phantastik streift. Sie nenntt Eric Kurlander und sein Buch „Hitler’s Monsters“ , sie erwähnt einen Wissenschaftler und seine Tätigkeit im Alter von 20 als Übersetzer von Edgar Rice Burroughs „A Princess of Mars“ in Erscheinung zu treten. Und ob es sich bei „Sun Koh: Erbe von Atlantis“ wirklich um einen „Klassiker der Schundliteratur“ handelt, ist schwierig zu beantworten: so alt war die Serie noch nicht, dass sie es zum Klassiker gebracht hätte.
Nur leider ist sie bei der Erwähnung der Thulegesellschaft wieder der Sensationsliteratur aufgesessen. So schreibt sie: „Viele Mitglieder der Thulegesellschaft wurden später zu wichtigen Akteuren der NSDAP.“ Das ist nicht belegt.
Abschließend schreibt sie: „Manchmal müssen wir einfach hören, was die Geister zu sagen haben. Denn in einer von Geistern heimgesuchten Gesellschaft »transportiert der Geist immer die Botschaft« (…), aber nicht in Form einer akademischen Abhandlung oder einer klinischen Fallstudie oder einer polemischen Breitseite oder eines todlangweiligen Tatsachenberichts.«“
Dem möchte ich mich anschließen.
Kein Buch für Jedermann, aber großartige Lektüre.