Der vergessene Turm: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 8. Januar 2024, 06:33 Uhr
Robert M. Talmar
DER VERGESSENE TURM
Gilwenzeit 1
Ich habe es nicht gelesen und erlaube mir trotzdem ein Urteil. Wer
jetzt aufhört, diese Rezension zu lesen, hat sicher gute Gründe dafür.
Das Backcover klang noch gut. Erst ein Lob von Jörg Kastner
(»Schon jetzt ein moderner Klassiker der Fantasy.«), dann der tolle
Startsatz auf dem Rücken: »Einst erschufen die Wahren Meister der
Gidwargim acht Gilwen – Kristallkugeln von unbegreiflicher Macht.«
Aber dann ging es leider weiter: »Doch der Tyrann Lukather entriss
den Meistern das Geheimnis ihrer Herstellung und fertigte eigene Gilwen
an.« Ich dachte bei mir »Gut, ein weiterer Tolkien-Klon«, aber ich
wollte das Buch immer noch lesen.
Also fräste ich mich durch die Danksagung. Der erste Dank galt
dem Lektor Dr. Frank Weinreich, »einem großen Fantasykenner im Allgemeinen
und hochgradigen Tolkienexperten im Besonderen (…)«. Im
nächsten Absatz dankt der Autor dann seinem »Agenten und Berater
Werner Fuchs, dem Nestor der deutschen Fantasy (…).« Langsam keimt
Übelkeit in mir auf: Ein Tolkienexperte als Lektor und Werner Fuchs
als Berater. Ich mag Werner Fuchs, ehrlich, aber der »Nestor der deutschen
Fantasy« ist er beileibe nicht (Nestor: »herausragender ältester
Vertreter einer Wissenschaft, eines [künstlerischen] Faches; Ältester
eines bestimmten Kreises«), nicht einmal der Nestroy.
Ich quälte mich zur »Vorrede« weiter: »Heute lassen nur noch grotesk
verzerrte Abbilder die einstige Gefährlichkeit der Gilwen erahnen.
Denn wir finden sie immer noch mühelos wieder, ohne uns allerdings
viel dabei zu denken: in der Gestalt von mittelalterlichen Reichsäpfeln
(…) und als unheimliche bedrohlich anmutende Kristallkugeln, mit denen
uns selbst ernannte Seher auf Jahrmärkten angeblich die Zukunft
deuten.« Aaargh, mal wieder eine Tolkien-Abwandlung mit einer mystischen
Vorgeschichte der Menschheit. Und Äpfel und Kugeln … aargh.
Und der Roman spielt »vor der Großen Flut«, als die Welt »noch ihren
alten Namen« trug: Kringerde, die Gekrümmte. Naja, also wussten
die Altvorderen um die Kugelgestalt der Erde und lebten auf Atlantis.
Einen Absatz später erfahre ich, dass es wirklich um ein untergegangenes
Reich geht, nämlich Benutcane. Und es lag im Westen. Aaargh.
Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte an dieser Stelle nicht recht gehabt.
Als dann noch die Baum- und Waldmenschen namens Arendirin
auftauchten, war ich kurz davor aufzugeben. Ich war noch nicht einmal
auf Seite 12, als es mich endlich einholte und ich das Buch verärgert
in die Ecke warf – nein, das ist kein dummer Spruch, ich tat es.
Da steht, dass das Manuskript 18.850 Jahre lagerte, bevor es »tief unter
Tonnen von Felsgestein auf einer abgelegenen Insel« gefunden
wurde. Und: »Als kostbarstes Fundstück allerdings erwiesen sich dabei
die Texte selbst, sondern ein von unbekannter Hand beigefügtes Bild-
Wörterbuch, das jeden aufgeführten Begriff mit einer eindeutigen
und klaren und teilweise kolorierten Zeichnung erläuterte und sogar
die Aussprache gestisch-mimisch darstellte«.
Seite 11. Weiter bin ich nicht gekommen. Hier präsentiert sich
wahrscheinlich ein fantasiefreier Tolkien-Klon, den ein Nestor und ein
Tolkien-Kenner lektorierten, ohne darüber nachzudenken, ob das interessant
oder gar neuartig ist. Dass die Idee, die Gilwen seien die Vorläufer
der Reichsäpfel, Quatsch ist, oder dass die Erde früher Kringerde
hieß, dass es einen untergegangenen Kontinent gibt, dass das alles
historisch sei und dass wir Bild-Wörterbücher finden könnten, die uns
dieses Buch vermitteln … aaaargh.
Selbst wenn auf den folgenden 500 Seiten der Punk abgeht: nicht
für mich. Ich lese gerne esoterischen Quatsch, weil er mich unterhält.
Aber dann sollte es auch draufstehen – und nicht »Schon jetzt ein
moderner Klassiker der Fantasy«.