Sicherlich könnte man sagen

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Schlaraffen hört!

Sicherlich könnte man sagen, dass ein Faust-Ketten-Turney un-schlaraffisch ist. Begrenzt man den Faust auf die Gretchenfrage so ist es sicherlich richtig, dass deren Beantwortung unschlaraffisch wäre, weil sie Bereiche berührt, die das Schlaraffentum meidet wie der Teufel das Weihwasser. Zu recht, wie man aus der internen Logik und dem internen Logos der „Schlaraffia“ schließen kann, doch gibt uns der Hinweis auf den das Weihwasser meidenden Teufel Raum für weitere Überlegungen, in denen wir uns teuflisch, ein wenig luziferanisch um das Thema herumbewegen, immer ein Dia-volo, ein Verwirrer, statt ein Gretchenfragenbeantworter.
Das wäre nebenbei ein lustiges Gerät – ein „Gretchenfragenbeantworter“. „Guten Tag, das ist der Gretchenfragenbeantworter von Knappe 312. Sie können ihre Frage nach dem »Piep« hinterlassen. Meine Antwort ist »Nein!«“
Ich selbst muss an dieser Stelle zugeben, dass ich nicht nur ein absoluter Nichtkenner des Ehrenschlaraffen Faust bin, sondern mich sogar zu einem ausgesprochenen, absichtlich-willigen Nicht-Leser von ES Faust und Konsorten küren würde. Jener Sturm und Drang’sche Bildungskanon ist an meiner Generation fast spurlos vorbeigegangen, die wiederum mit englischer Dichtung und Brecht – nichts gegen Brecht, wirklich nicht – überfrachtet worden ist unter Zurücklassung und Unterlassung von verlassener Einzelbildung. Meine fragmentarische Theater- und Dichtungsbildung ist nur mit einer Landkarte Mikronesiens vergleichbar, bei der die Atolle mit Wissensinseln identisch sind, während die deutsche Dichtung seit Klingsor im pazifischen Dunkel versinkt.
Zurück zum Teufel. Ich selbst saß zwar schon in Auerbachs Keller, war in diversen Goethe-Instituten und habe schon Schillerlocken gegessen, bin also bildungstechnisch wahrscheinlich weiter ver-Faust-et als manch anderer, verzichte aber ausdrücklich hier auf eine durch Wikipedia und Halbwissen gestützte Vortragstechnik, bei der ich mich sonst – für mich ausgesprochen unüblich – von obskurer Gedankenkette zu obskurer Gedankenkette hangelnd, gleich einem Tarzan der Dichtungsliane präsentieren würde. Außerdem passt der Lendenschurz nicht zur Bekleidung eines Tarimunden.
In der als Thema vorgegebenen, hier nicht erneut als lässliche Übung von mir erneut zu zitierenden und damit wertvolle Vortragszeit zu schindenden obskuren Mehrwortkette fällt auf, dass es nur ein einziges Hauptwort gibt (sieht man mal von dem erzählenden, sehr egoistischen „Ich“ ab, das durch seine Satzanfangsstellung relativ bald in Vergessenheit gerät und das mit dem satzumklammernden Verb am Ende ein sehr eigenartiges „Ich ... sein“ bildet, zwischen dem das Thema enthalten ist).
Es gibt nur ein Hauptwort außerhalb des Erzählers: Den Wunsch. Im Gegensatz zum Willen, der eben basiert auf dem eigenem aufgebaut ist und davon ausgeht, dass man etwas mit Kraft seiner eigenen Psyche, kanalisiert durch den eigenen Körper erreichen kann ist der Wunsch das passive Zurücklehnen, das Hoffen-auf, das Möchten-das im Gegensatz zum aggressiveren Willen.
Es ist der Wille, der immer wieder als Triebfeder in den letzten Jahrhunderten Leid über die Menschen gebracht hat. Wünschen tut keinem weh, der Wille ist es, der schmerzt – sei es nun der Wille zur Macht, der Wille zum Sieg oder Willie der II. Es ist auch der Wille, der im Märchen dazu führt, dass sich Dinge aus dem Ruder bewegen. Es ist im Kunstmärchen des 20. Jahrhunderts das „Tu, was du willst!“ in Michael Endes „Die unendliche Geschichte“, das – im Grunde die Märchengeschichte des Kunstmärchens bis Wilde rezipierend – die Entwicklung auf die Spitze treibt, die in der Entscheidung zwischen dem Tuen und dem Wollen in dem „Tu, was du willst!“ festschreibt. Diese Entscheidung bevorzugt einmal das unhinterfragte Tuen, einmal das unumgesetzte Wollen. Beides sind Dinge, die – alleine und für sich betrachtet – nutzlos sind, aber wenn man schon einmal die von Michael Ende gestellte Frage beantworten muss, so wäre es das vom Wollen gesteuerte Tuen, das mehr Sinn macht. Aber mehr Sinn macht es doch nur, wenn man in dieser Alternative gefangen ist. Bei einer Entscheidung zwischen Pest und Cholera spielt das Erdbeereis mit heißen Himbeeren keine Rolle und wird nicht mitgedacht, wenn man sich – uninspiriert – für Cholera entscheidet. Wüsste man hingegen, dass Erdbeereis mit heißen Himbeeren auch als dritte Option im Raum steht, würden meiner Einschätzung nach die wenigsten Probanden Pest oder Cholera wählen.
Zurück zum Thema. Ich kreise immer noch um den ES Faust, soweit man um ihn kreisen kann wenn man nicht weiß, wo er eigentlich steht. Ich beschreibe also mehr eine mittelpunktlose Weltraumparabel, die sich – getarnt durch einen fast schon für den Zuhörer unerträglich zu nennenden Langsatznebel getarnt – so geriert, als würde sie sich mit dem gestellten Thema beschäftigen, in Wirklichkeit aber nur versucht, diese Kette zu gewinnen, ohne über den Ehrenschlaraffen zu sprechen.
Wie gesagt, man möge mir nachsehen, dass ich mein Nichtwissen nicht in drei Minuten in Halbwissen verwandelt habe sondern in einer luziferanischen, fast schon teuflischen Attacke von Logorrhoe, also Wort-Durchfall, versuche, mich nicht allzu sehr zu blamieren.
Zurück zum Wunsch. Der Wunsch ist eben nicht die dritte Möglichkeit neben Wollen und Tun, weil er nicht aktiv handelt. Der Wunsch ist das Zurücklehnen, das Passiv-Werden, das anderen abgeben, was zu tun ist. Ein wenig erinnert der Wunsch an das (sicherlich ihm nur zugesprochene) Lutherwort, das es drei Formen der Kommunikation gibt – Monolog, Dialog und Gebet. So ist der Wunsch das märchenhafte Beten, der frei von moralischen Einschränkungen wünschen kann, weil die wunscherfüllende Kraft, jenem mit Wunschpunkten besprenkelten Sams gleich, die Quelle und damit Ultima Ratio der Wunscherfüllung ist und nicht der Wünschende selbst, der von jeder moralischen Scheu frei den Wunsch nur äußert, aber nicht umsetzt.
„Mutabor!“, jenes Kernwort der Hauff’schen Geschichte um den Kalif Storch (wer an dieser Stelle bemerkt, dass ich mich auf einem von ES Faust wegführenden Stück der Fexungsparabel befinde, der hat Recht und kann sich nachher beim Thron dafür eine Sammelmarke abholen), jenes „Mutabor!“ also fasst die Wunschproblematik bei fast schon auf einen Hauff’en. Ich bin bereit, dieses Wortspiel mit Hauff’en ad infinitum zu wiederholen, bis es alle verstanden habe, gehe aber davon aus, dass die restliche Lebenserwartung unseres Sonnensystems für diesen Wunsch nicht ausreicht.
Aber hier hatte der ES Faust – den ich im Gegensatz zu einigen anderen Rittern im Reych nicht persönlich kannte – Recht.
Man ist nie ohne Wunsch, wenn man lebt. Denn wer keine Wünsche mehr hat, der ist tot. Manche dieser wunschlosen Toten laufen noch herum, sie können sogar Minister oder Zahnarzthelferinnen werden. Aber sie sind tot. Denn der Wunsch ist der Antrieb aller Entwicklung, nicht das Wollen. Das Wollen ist realistisch, gekoppelt an das Tun und spricht von Dingen, die man jetzt oder in naher Zukunft umsetzen kann. Der Schlaraffe tut und er will. Aber er wünscht auch. Er wünscht einen Ort herbei, den es nicht gibt.
Analog zur „Utopia“ von Morus, jenem „Schön-Ort“ oder „Nicht-Ort“ sind die Länder der Schlaraffen wunschgeborene Inseln im Ozean des Traumes. Sie sind kleine Fürstentümer in einer Weltkarte voller phantastische Orte, in denen das Einhorn, der Sultan auf dem fliegenden Teppich und der Ritter in schimmernder Rüstung jenes Zauberwort zurufen, das voller Verheißung spricht von jenen Orten des Wunsches, fernab von den Gestaden des Seienden hinter dem Meer der Hoffnung; jenes uralte Zauberwort schallt von Berg zu Berg und manchmal hört man leise noch sein Echo in unseren Tälern, dieses leise
Lulu!