Von Ariern und Aliens
Michael Novian
Von Ariern und Aliens
Völkische Weltanschauung in der Science-Fiction-Literatur vor dem Zweiten Weltkrieg
Tectum Verlag, 2013, 192 Seiten
24,95 €
Dies ist ein schlechtes Buch. Und nicht nur, weil auf der ersten Textseite der Name von Tolkien als "John Roland Reul [sic] Tolkien" angegeben wird.[1] Oder weil aus Hans Ludwig Roseger Hans Ludwig Rossegger wird2, aus Gasman Gasmann3
und aus Stefan George Stefan Georges4. Da ist
man schon dankbar, wenn Georges Vacher de
Lapuge nur zu Georeges wird5 oder dass Lanz
von Liebenfels im Buch auch als Adolf Lanz auftaucht.
6
Und dass schlimme „Scince Fiction“ (statt dem
allgegenwärtigen „Science-Fiction“) überliest man
fast, weil es in einer Fußnote versteckt ist.7
Das Buch ist auch nicht schlecht, weil manche
Übersetzung aus dem Englischen danebenge-
1 S. 11
2 S. 67; konsequent falsch in Fußnoten und „Literatur“.
3 S. 33, Fußnote 3
4 S. 122
5 S. 137
6 S. 123, Fußnote 6
7 S. 53, Fußnote 2
gangen ist („Some are large and evil“ heißt nicht
„Einige sind riesig und teuflisch“; der christliche
Bezug ist hier falsch)8. Und „Alpha Centauri“
heißt auf Deutsch auch „Alpha Centauri“, nicht
„Alpha Zentauri“.9
Die „Tippfehler“ (zum Beispiel „kategroisierbar“
10 und „Willkur“11) ignoriert man dann
schon fast, wenn man die Sätze überlebt hat,
die wenig Sinn verbreiten („Die Science-Fiction-
Autoren schreiben also in einer völkisch
durchsetzten Umwelt, die ihre Erfahrungen
beeinflussen.“12 – Wer sind hier „die“?). Und
alphabetisch kommt „Schaeffler“ weiterhin vor
„Schallmeyer“, nur nicht bei „Literatur“ in diesem
Buch.13
Wenn dann der Autor selbst von seinem
„orthographischen Wehmutsgefühl“14 schreibt,
dann wird das zu einer Art Witz im Witz.
Versuchen wir eine inhaltliche Annäherung.
Das Buch beginnt mit einer „exemplarischen
Einführung“ über die „Nordische Mythologie
in der Darstellung J.R.R. Tolkiens“ (Seite 11-
21). Mit dem Titel des Buches hat das inhaltlich
nichts zu tun, aber es macht sich gut in einer
Zeit, da Tolkien überall präsent ist.
Danach folgt dann der erste echte Inhaltsteil
namens „Die Science-Fiction als literarische
Ausdrucksform völkischer Weltanschauung vor
dem Zweiten Weltkrieg“ (S. 23-69). Leider ist die
Beschäftigung des Autoren mit den völkischen
Gruppierungen eher oberflächlich. So schreibt
er: „Eine besondere Bewegung innerhalb der
völkischen Gruppierungen stellen die Okkult-
8 S. 16
9 S. 54, Fußnote 3 (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/
Alpha_Centauri, 05.11.2013)
10 S. 61
11 S. 77, Fußnote 3
12 S. 67
13 S. 189
14 S. 79, Fußnote 2
56 – Rezension
bewegungen dar, die im neopaganen Umfeld des
20. Jahrhunderts, völkische Weltanschauungen
in sich aufnehmen und in okkult-sektiererischen
Ritualen religiös verformen.“15 Abgesehen vom
verwirrenden Schachtelsatzbau bleibt die Frage,
ob man von einem „neopaganen Umfeld des 20.
Jahrhunderts“ und einer Okkultbewegung vor
dem Zweiten Weltkrieg sprechen kann. Ich behaupte:
Nein.
Schön sind Schlussfolgerungen, die sich
selbst erklären: „Die Liste neomythischer Motive,
mit denen die Science-Fiction-Autoren ihre
in den wesentlichen Punkten transzendierte
Welt gestalten, ließe sich beliebig verlängern, so
dass sich verallgemeinernd festhalten lässt, dass
Science-Fiction einen literarischen Platz anbietet,
an dem sich neomythisches Bewusstsein
ausleben kann.“16 „ließe … lässt“ – in diesem
Spannungsbereich spielt sich die Beweisführung
des Autors ab.
Und auch die Literatur über Science Fiction
hat der Autor nicht gelesen. Oder erst gar nicht
gesucht: „So stellt Manfred Nagls Science-Fiction
in Deutschland von 1972 meines Wissens die
einzige Monographie dar, die um eine Gesamtdarstellung
deutscher Open zum Thema bemüht
ist.“17 Ein müder Griff in den Schrank der
meisten Science Fiction-Fans dürfte einiges an
neuerer Literatur zum Thema zu Tage bringen.
Viele Dinge sind schlampig recherchiert.
Wenn der Autor Kurt Friedrich Freksa mit 36
Werken genannt wird („Die Zahl beruht auf einer
Zusammenstellung der im ZVAB [Zentrales
Verzeichnis antiquarischer Bücher; zvab.com,
HR] verzeichneten Werke.“18), so ist es ärgerlich,
wenn schon Wikipedia 40 Werke kennt.19 Und
15 S. 26, Hervorhebung im Original
16 S. 65
17 S. 49, Hervorhebung im Original
18 S. 73, Fußnote 1
19 https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Freksa;
05.11.2013
der Hinweis auf www.fenrir1.de20 verweist auf
einen nicht mehr funktionierenden Link; den
Nachweis um den Baldur-Mythos sollte man
trotzdem bitte der „Edda“ oder wenigstens einem
Buch über nordische Mythen entnehmen;
die „Bibel“ würde man auch nicht in einem
Buch aus einem Online-Blog zitieren.
Der zweite Inhaltsteil heißt „Der Mythos der
ewigen nordischen Rasse“ (S. 71-182). Inhaltlich
geht es praktisch nur um zwei Autoren: Kurt
Friedrich Freksa und Emund Kiss. Für einen so
weit gespannten Titel ist das sehr wenig.
Der längere Exkurs zur Welteislehre (S. 89-
104) passt meiner Ansicht nach nicht in den
Themenblock. Die Herleitung ist nicht nachvollziehbar.
Der Autor schreibt: „Nicht nur für Elmayer,
sondern für breite Bevölkerungsteile bot
sich demnach in der WEL [Welteislehre, HR]
»ein geschlossenes (…) Weltbilde als wissenschaftliche
Grundlage zu einer echt nordischen
Weltanschauung«.“21 Die Erklärung wird in einer
Fußnote nachgeschoben: „Die Darstellungen
zur WEL erreichten eine Auflage von 5000
– 8000 Exemplaren.“22 Ob das für eine Einwirkung
auf „breite Bevölkerungsteile“ ausreicht,
halte ich für unwahrscheinlich.
Der „Ausblick“ ist der dritte (und letzte)
inhaltliche Teil (S. 179-182). Das Buch endet
(mal wieder) mit einem Verweis auf Hauser:
„Hauser spricht im Zusammenhang mit Hitlers
realpolitisch eingebundener Neomythologie
von der ersten großen neomythischen Katastrophe
der Moderne, die uns vor Augen führen
sollte, dass dort, wo der Mensch sich über sein
Menschsein erhebt und im Hinaustreten aus
dem Reich des Gedankenspiels und der Fiktionalität
Konsequenzen realer Tragweite aufgeworden
werden, nicht selten Katastrophen
ihren Anfang nehmen.“23
20 S. 82, Fußnote 1
21 S. 97 f.
22 Fußnote 1, S. 98
23 S. 181 f.
Rezension – 57
Nicht selten. Mit dieser Binsenweisheit werden
wir entlassen.
Aber eigentlich ist alles noch viel schlimmer.
Dieses Buch ist der Beweis, dass Herr Novian
Bücher lesen kann, besonders die von seinem
Doktorvater Linus Hauser.24 Was kein Fehler
sein muss, aber in der Menge vermuten lässt,
dass hier eine Lobhudelei an mangelnde eigene
Recherche gekoppelt ist.25 Das bestätigt sich,
wenn man schaut, was der Autor nicht selbst
liest, sondern nur „zitiert nach“. (Wobei hier
die Quellen ausgelassen sind, die man so zitieren
muss oder sollte, wie Zeitschriftenbeiträge26
oder falsche Hinweise auf „zitiert nach“, wenn
ein direktes Zitat gemeint ist27 und sinnvolle inhaltlich
im Originaltext platzierte Zitate.28) Übrig
bleiben folgende zitierte Verfasser:
24 S. 9 nennt den Doktorvater
25 Fußnoten mit Verweis auf Hauser: S. 14, Fußnoten
1 und 4; S. 17, Fußnote 4; S. 25, Fußnoten 2 und
6; S. 26, Fußnoten 4 und 8; S. 27, Fußnote 2; S. 32,
Fußnote 1;S. 33, Fußnote 1; S. 38, Fußnote 2; S. 41,
Fußnote 5; S. 50, Fußnoten 6 und 7; S. 51, Fußnote 2;
S. 57, Fußnote 3; S. 60, Fußnoten 3, 4, 5 und 6; S. 61,
Fußnoten 2, 3, 5, 7, 9 und 10; S. 62, Fußnoten 2, 4, 6, 8
und 9; S. 63, Fußnoten 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 11, 12 und 13;
S. 64, Fußnote 2; S. 66, Fußnoten 1, 2, 3 und 5; S. 71,
Fußnote 2; S. 76, Fußnoten 3 und 4; S. 83, Fußnoten
5 und 7; S. 84, Fußnoten 1 und 4; S. 87, Fußnote 1; S.
89, Fußnote 4; S. 90, Fußnoten 1 und 2; S. 92, Fußnote
1; S. 94, Fußnote 4; S. 95, Fußnote 3; S. 97, Fußnote
6; S. 99, Fußnote 1; S. 100, Fußnote 1; S. 101, Fußnote
6; S. 103, Fußnoten 1, 4, 6 und 7; S. 104, Fußnote 3; S.
105, Fußnoten 6 und 7; S. 106, Fußnoten 1, 3, 4 und
5; S. 112, Fußnote 9; S. 115, Fußnoten 2 und 3; S. 116,
Fußnoten 2 und 3, S. 118, Fußnoten 4 und 6; S. 119,
Fußnoten 4 und 6; S. 120, Fußnoten 3, 5, 6, 7 und 8;
S. 123, Fußnote 2; S. 129, Fußnoten 1, 2 und 5; S. 132,
Fußnote 1; S. 134, Fußnote 1; S. 138, Fußnoten 3 und
4; S. 144, Fußnote 3; S. 149, Fußnote 6; S. 154, Fußnoten
4, 5 und 7; S. 158, Fußnote 3; S. 159, Fußnote
4; S. 166, Fußnoten 4 und 4; S. 171, Fußnoten 1, 6, 7
und 8; S. 172, Fußnote 3; S. 179, Fußnoten 1 und 2;
S. 182, Fußnote 1
26 Vgl. S. 72, Fußnote 1
27 Vgl. S. 75, Fußnote 2
28 Vgl. S. 83, Fußnote 6
Ammon29
Asimov30
Benn31
Bester32
Böhme33
De Lapouge34
Diederich35
Fahrenkrog36
Fritsch37
Gauch38
Geiger39
George[s]40
Gernsback41
Goebbels42 – zitiert nach Hauser
Gunn43
Haeckel44 – seine deutschsprachigen Werke werden
englisch zitiert und dann rückübersetzt.
Himmler45
Hitler; einmal zitiert nach Hauser46, plus zwei
weitere Werke47
Hörbiger48
Langbehn49
Lanz50 bzw. von Liebenfels51
Ley52
29 S. 36, Fußnoten 4, 6 und 7
30 S. 54, Fußnote 2
31 S. 134, Fußnote 5 und S. 135, Fußnote 3
32 S. 54, Fußnote 3
33 S. 124, Fußnote 1
34 S. 137, Fußnote 3
35 S. 173, Fußnote 4
36 S. 173, Fußnote 5
37 S. 161, Fußnote 8
38 S. 150, Fußnote 2
39 S. 122, Fußnote 3
40 S. 122, Fußnote 7
41 S. 53, Fußnote 7
42 S. 103, Fußnote 1
43 S. 57, Fußnote 1
44 S. 33, Fußnoten 3 und 8; S. 34, Fußnoten 1 und 2
45 S. 76, Fußnote 7
46 S. 62, Fußnote 9 und Seite 144, Fußnote 3
47 S. 179, Fußnote 3, sowie S. 181, Fußnoten 1 2
48 S. 91, Fußnote 1 und S. 97, Fußnote 7
49 S. 133, Fußnote 5
50 S. 123, Fußnote 6
51 S. 46, Fußnote 6
52 S. 98, Fußnote 6
58 – Rezension
Ludendorff53
Morel54 – zitiert nach Hauser
Nietzsche55 – zitiert nach Hauser
O‘Flaherty56 – zitiert nach Hauser
Schallmeyer57
Siegel & Shuster (mit dem Eröffnungssatz von
„Superman“)58
Thiel59
Tolkien: „Lord of the Rings“60 beziehungsweise
„Herr der Ringe”61 … oder ohne Titel.62
Von Gruber63
Wirth64
Zippelius-Horn65
Ein alphabetisches Register fehlt völlig, der Abschnitt
„Literatur“ nennt für viele der Personen
der Liste kein Werk; besonders fällt auf, dass die
Science Fiction-Autoren in der „Literatur“ mit
ihren Werken ausgelassen werden (Asimov, Bester,
Gernsback, Gunn).
Zusammenfassend kann man sagen, dass das
Buch jeglichen Anspruch einer wissenschaftlichen
Arbeit nicht erfüllt; als Doktorarbeit ist es
eine Schande, als Buch (auch verlagsseitig) eine
Katastrophe.
- ↑ S. 11