Salamander soll glühen oder Eide im Feuer!
1. Vorbemerkung
Willkommen zum Radiokolleg "Salamander soll glühen oder Eide im Feier". Wir haben eine Stunde Zeit, aber die werde ich nicht komplett für den Vortrag nutzen, so dass Zeit bleibt, nachher Fragen zu stellen. Wenn sie welche haben.
Danke. Ende Vorbemerkung.
Beginnen wir mit dem Inhaltlichen.
Manchmal ist es wichtig, Begriffe dort zu suchen, wo sie in unserer Sprache benutzt werden. Die Begriffe Eid und Schwur klingen altertümlich, sind für meine Ohren aber durch das "Ich schwör" der Jugendsprache hinlänglich verdorben. In der Tagespraxis finden die beiden Begriffe Schwur und Eid wenig Raum – "Ja, Schatz, ich schwöre, das ist mein letztes Bier" oder "Ich bin um 2:00 Uhr im Bett bei den Kindern, mein Eid darauf" klingen lustig, sind aber eigentlich Verwässerungen des Grundgedankens hinter dem Eid. Der Eid vor Gericht, der Fahneneid der Bundeswehr und dann noch vielleicht der Eid des Fähnlein Fieselschweif – das sind die Bezüge, in denen wir im normalen Leben mit dem Thema aneinander geraten.
Grundlegende Recherchen waren angesagt. Meine Vorarbeiten zu diesem Text begann ich daher damit, dass ich mich brav einmal quer durch die notwendige Literatur wühlte. Das ging vom "Brockhaus" und diverse Lexika über die "Edda" in verschiedenen Ausgaben bis hin zur Sekundärliteratur, abgeschlossen mit dem melodischen Zweiklang aus Scylla und Charybdis der Germanentum-Forschung, dem Simek und dem Oertel.
Dann lehnte ich mich zurück und betrachtete die Papierberge. Dabei sinnierte ich, wie es weiter geht. Nach einigem Nachdenken kam ich zu einem eindeutigen Entschluss und warf meine Notizen fort. Denn während meiner Überlegungen hatte ich festgestellt, dass es für mich – und hoffentlich für alle Zuhörer oder Leser – besser ist, wenn ich aus meinen eigenen Erfahrungen berichte und das zum Besten gebe, was ich anhand meiner eigenen Erfahrungen verifizieren kann. Wer also jetzt erwartet, dass ich stundenlang "Edda"-Verse in der Jordan-Übersetzung zitiere, der sei gewarnt, weil genau das nicht mein Thema sein wird.
Man möge sich hingegen entspannt zurücklehnen und genießen, dass ich hoffentlich inhaltlich und sprachlich verständlich über "Eide im Feuer" spreche, bar jeder Powerpoint-Präsentation und mich nur auf die Macht dessen verlassend, was für den Eid so wichtig ist: Das gesprochene Wort.
Noch einmal. Gewarnt seien diejenigen, die eine heidnische Kaffeefahrt um "Edda"-Stellen herum erwarten, bei denen ich mit sprachlicher Brillanz Anmerkungen zu den gebrochenen Eiden in der "Wöluspa" abgebe, den Baldur-Eid im "Vegtamsquida" auseinandernehme oder das "Erste Lied von Brunhild" zitiere, um (Jordan folgend) die Begrifflichkeiten wie Treubruch und Trugeid zu definieren. Ich werde einen Sprung versuchen, aber ich brauche dafür einen längeren Anlauf, der ein wenig Aufmerksamkeit verlangt und vom Anfang an beim Publikum das Vertrauen da hinein, dass ich am Ende wirklich bei Salamander und Feuer ankomme.
2. Das Modernes Heidentum
Das moderne Heidentum, das sich inzwischen weltweit ausgebreitet hat, ist eine Erscheinung der Nachkriegszeit mit starken Wurzeln in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts.
Obwohl das germanische Heidentum, das sich selbst einengend oft als Asatru bezeichnet, in weiten Teilen versucht, eine Rekonstruktion einer historisch existenten Religion zu erzeugen, unterscheidet es sich damit deutlich von anderen heidnischen Strukturen. Gemeint sind damit Gruppen wie Celtoi oder Wicca, die weniger eine Rekonstruktion aufgrund von historischen Zeugnissen versuchen, sondern eher aus Versatzstücken das neu zusammenfügen, was für sie die Kernelemente einer heidnischen Religion ausmacht.
Um es ein wenig platt zu sagen: Ein richtiger moderner Asatru versucht, zum Thing ein im Original mit Walnadeln genähtes Fundstück aus dem isländischen Örengör-Moor nachzubauen, das aus dem Garn eines ausgestorbenen Mufflons gewebt und mit der Farbe aus unter Naturschutz stehenden Pilzen von den Färöern gefärbt wurde. Die Wicca trägt zum Ritual zu Beltaine ein Kleid aus dem Indienladen und dazu ein selbst gebatiktes T-Shirt. Der Celtoi trägt Jeans und kariertes Hemd.
Der Versuch der Rekonstruktion im germanischen Heidentum führt zu verschiedenen, sich im Kern widersprechenden Ergebnissen, die einerseits eine historische Kontinuität unmöglich machen, andererseits dafür sorgen, dass ein verändertes Menschenbild und andere soziale Umstände abgebildet werden können. Themen wie Homosexualität, der Umgang mit Drogen oder die Rollen der Geschlechter waren schnell Thema und wurden in den meisten Gruppen dahingehend modifiziert oder gleich definiert, dass man hinter die Ergebnisse der Aufklärung und der liberalen Entwicklung nicht zurückgehen wollte.
Dass die "ewig Gestrigen" lustigerweise maximal bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückgreifen, macht ihre Rolle noch fragwürdiger, ihren Ansatz noch lächerlicher und marginalisiert ihre Rolle in der heidnischen Gesellschaft glücklicherweise noch mehr, als es alleine durch ihre oft rechtsextremen Ansichten
geschieht. Dies soll heißen, dass eine moderne Gesellschaft verlangen kann, dass die Religionsausübung sich einer Veränderung beugt, die uns in den letzten Jahrzehnten ein paar Lehren mitgegeben hat, deren Anwendung inzwischen zum bürgerlichen Selbstverständnis gehört. Damit meine ich unter anderem die Diskussion, ob Frauen Wahlrecht haben sollten, Homosexualität nicht strafbar ist und der Konsum von Drogen bestimmten Regeln unterworfen ist, aber im Zusammenhang mit Alkohol und Marihuana liberal gehandhabt wird. Wer sich jetzt verwundert fragt, ob das jemals anders war, der sei daran erinnert, dass diese Dinge – vom Alkoholverbot in den USA über das Wahlrecht für Frauen in Deutschland bis zur Strafbarkeit der Homosexualität im Bürgerlichen Gesetzbuch – alles Faktoren sind, die sehr wohl in den letzten hundert Jahren noch gewirkt haben. Mal ganz ehrlich – wer weiß, wann in Deutschland das Gesetz so geändert wurde, dass Ehefrauen ohne
Zustimmung ihres Ehemanns einen Arbeitsvertrag unterschreiben durften? 1977.
Die hoffentlich vorhandene Verblüffung nutzend, schiebe ich noch einmal eine Klarstellung hinterher. Denn ich möchte jetzt nicht jenen das Wort reden, die glauben möchten, dass historische, heidnische Gruppen schon immer liberal,
aufgeklärt und überhaupt ganz hip waren. Waren sie nicht. Und das kann man behaupten, ohne in einer an Monty Python gemahnenden Argumentationskette ketzerisch schließlich die Frage zu stellen "Was haben uns die Römer jemals
gebracht" Und hier kann man nur direkt Das Leben des Brian und Regs Antwort darauf zitieren: "Okay, okay, aber abgesehen von Aquädukten, Medizin, Erziehung, öffentlicher Ordnung, Bewässerung, Straßen und Volksgesundheit – was haben die Römer je für uns getan?" Man muss es an dieser Stelle einmal laut sagen: Über den Wikingerschiffen wehte nicht die Regenbogenfahne und Frauen wurden nicht Kapitän. Was nicht heißt, dass die Römer besser waren. Anders manchmal, aber nicht in allem
besser.
Im Hier und Jetzt haben wir inzwischen als Kultur einigen Fortschritt erreicht, der dummerweise nach der Christianisierung eintrat. Das heißt nicht, dass medizinische Grundversorgung, öffentlicher Nahverkehr und allgemeine Schulpflicht christliche Errungenschaften sind. Eher im Gegenteil: Sie sind Ergebnisse einer Liberalisierung, erkämpfte Fortschritte einer bürgerlichen Gesellschaft. Oder anders herum: Wo in der "Bibel" oder in der "Edda" gibt es eine Stellungnahme zur Rolle des öffentlichen Personennahverkehr oder Aussagen zu Schluckimpfungen, Schwangerschaftsvorsorge, Sehtests vor dem Führerschein oder gar zum flächendeckenden Angebot von Grundschulen? Nirgends, weil diese Themen zur Entstehungszeit dieser Texte nicht denkbar waren. Antworten aus den entsprechenden Werken abzuleiten wird noch schwieriger, was nicht heißt, dass es nicht versucht wird.
Wir vermeiden hier jetzt gemeinsam jenen gedanklichen Nebenweg, der uns die Frage beantworten lassen könnte, ob diese genannten Fortschritte (Grundversorgung, Nahverkehr, Schulpflicht) in den letzten Jahren nicht in Deutschland erodiert sind. Sie sind es, aber sie sind immer noch auf einem Niveau, das haltbar und sicherlich mit unseren Mitteln wieder weiter ausbaubar ist.
3. Die Dimensionen
Um uns der Frage nach den Ritualen zu nähern,
müssen wir die Frage beantworten, wo Rituale
eigentlich herkommen. Genauer: Wo der Bedarf
nach Ritualen herkommt.
Die Erstellung eines heidnischen Systems
für germanischen Glauben begann mit zwei unterschiedlichen
Dimensionen, in deren zweidimensionalen
Spannungsfeld sich die ersten Entwürfe
für Systeme von Glaubensausübung à la
„Alte Sitte“ bewegten.
Die eine Dimension war die Lebenswirklichkeit,
das andere die bisher bekannte christliche
Systematik.
4. Die Lebenswirklichkeit
Es wirkt erstaunlich simpel, wenn man betont,
dass wir alle in unserer Wahrnehmung dieselbe
Welt erfahren. Dieser Erkenntnis liegen Jahrtausende
philosophischer Überlegungen zugrunde,
die dann doch in der Gegenwart da mündeten,
dass wir vielleicht nicht alle dasselbe erfahren
oder wahrnehmen, aber objektiv in einer überprüfbaren,
physikalisch konkreten Welt leben,
die wir sogar gemeinsam haben.
Das mag auf den ersten Blick als Grundvereinbarung
erstens verwirrend und zweitens
überflüssig erscheinen. Die Überflüssigkeit ist es
aber, die durch die Entstehung von heidnischen
Systemen der Falschaussage gezeiht wird. Diese
Grundvereinbarung ist nämlich unverzichtbar,
wenn es um heidnische Lebenswelten im Ritualkontext
geht.
Wir bewegen uns, was den Aufbau von heidnischen
Ritualen betrifft, mehrheitlich in drei
miteinander verzahnten Kreisen, die uns Bedeutung
und Termin und darüber hinaus bestimmte
Rahmenbedingungen für Rituale vorgeben.
Diese Kreise sind der Jahreskreis, der Tagesablauf
und das menschliche Leben.
Jahres- und Tageskreis sind fest verzahnt,
während unser Leben mit ihnen nur verbunden
ist, um bestimmte Punkte in der Vita mit festen
Markierungen auf den Zählkreisen zu verankern.
Der Jahreskreis (als erster Kreis) gibt Rituale
vor, die wiederum an die Bewegung von Sonne
und Mond gebunden sind. Ohne jetzt auf eine
Kalendersystematik, die Bedeutung des Mondes
für das germanische Heidentum und seine besondere Rolle in der „Edda“ oder eine Diskussion über Nebensonnen eingehen zu wollen, sei darauf hingewiesen, dass die Jahreszeiten – und gerade die Sonnenwenden und die Tag-und- Nacht-Gleiche – wichtige Eckpunkte für Rituale sind. In den ersten Überlegungen von neu-heidnischen Gruppen waren es diese Eckpunkte, die schnell danach verlangten, dass sie kultisch umgesetzt wurden. Solar und lunar geprägt, orientieren wir uns an den Dingen, an denen sich unsere Vorfahren auch orientiert haben: Den Gestirnen. Erschreckenderweise nehmen wir sie viel weniger wahr, als die Menschen noch vor zweihundert Jahren, aber in einer Zeit, in der es Schlagworte wie „Lichtverschmutzung“ gibt, sollte man sich konsequent an milden Abenden wie hoffentlich heute hinaus setzen und die Sterne betrachten, um ein wenig jener Ehrfurcht nachzuspüren, die unsere Vorfahren an jener Stelle in sich trugen. Der Tagesablauf (als zweiter Kreis) erscheint weniger wichtig, da wir in einer Gegenwart leben, in der die gefühlte Zeit mit einer von mechanischen Messungen abhängigen objektiven Zeit nicht kongruent läuft, was dazu führt, dass die meisten Menschen kein Morgenritual durchführen, aber trotzdem rituell immer dieselben Handlungen morgens durchführen. Es sei der Exkurs erlaubt, dass das ursächliche Delling-Ritual das samstägliche Schmieren von Marmeladenbrötchen ist, also ein nur an einem Wochentag durchgeführtes, aber in sich festes Tagesritual, das eine Struktur vorgibt, die nicht an vorgegebene Zeiten, sondern an gewünschte eigene Zeitregelungen gebunden ist. Denn: Während der Jahreskreis mit Ritualen gespickt ist, mangelt es weiterhin an akzeptablen Tagesritualen, die aber glücklicherweise heute nicht mein Thema sind. Das menschliche Leben (als dritter Kreis) gibt seinen Rahmen vor, weil es an bestimmten Punkten die Existenz von Ritualen verlangt. Wir bewegen uns jeder auf einer Straße von Geburt bis Tod. Bestimmte Punkte sind wie Tankstellen an der Straße, wo wir Energie oder Freude auftanken und/oder wo man andere Menschen treffen kann. Jeder Mensch hat eine andere Straße, die nur ihm alleine gehört. Und all unsere Straßen sind unterschiedlich lang und starten an unterschiedlichen Punkten. Aber diese Straßen laufen immer wieder zumindest streckenweise parallel oder treffen sich wenigstens punktuell, so wie die Lebenswege aller hier im Raum versammelten Menschen sich wie an einer großen Kreuzung heute hier in diesem Raum treffen, um danach an der Gabelung am Sonntag wieder in unterschiedliche Richtungen zu gehen. Diese verschobenen Straßenbeginne, diese – mehr oder weniger – forcierten gemeinsamen Pausen an der Raststätte führen dazu, dass wir – da wir in eine heidnische Gruppe mit unterschiedlichen Lebensaltern der Mitglieder eingebunden sind – verschiedene Punkte dieser Lebenswelten wahrnehmen, die wir gerne mit Ritualen feiern. Ketzerisch könnte man sagen, dass ein Fruchtbarkeitsritual ein Ritual der Geburtsvorbereitung ist, ein Ahnenritual eine Nachbereitung des Todes. Alle anderen Rituale für uns selbst finden in unserem Leben statt, beginnen mit der Feier der Geburt, enden mit dem Gedenken beim Tod und werden bereichert durch Rituale zur Mannbarkeit/Fraubarkeit/ Geschlechtsreife und zur Bindung in einer Partnerschaft. Unsere Lebenswege verbinden sich durch die Teilnahme an den Ritualen für andere Menschen wie die Fäden im Netz des Wyrd oder wie die Bänder beim „Empompi Koloni Kolonaster“. Oder anders formuliert: Wenn man an der Raststätte Spaß gemeinsam hatte, dann verabredet man sich für die nächste Raststätte, steuert
dann darauf zu. Einer bringt einen Picknickkorb mit, ein anderer was zu trinken und der dritte sein Banjo. Wenn wir Wicca wären, bräuchte man vier Personen, weil einer muss ja die magische Kordel tragen. Bei Celtoi müssten es fünf sein, denn außer der Kordel braucht man noch jemanden, der die magische Sichel mitbringt. Bei den Asatru kommen immer zehn Personen zu solchen Terminen. Sieben davon bringen nichts mit, aber sie haben gehört, dass es etwas zu trinken und Musik gibt. 5. Die christliche Systematik Es lässt sich nicht leugnen: Wir sind alle Kinder des christlichen Abendlandes. Zumindest gilt das für die Väter – und ja, natürlich auch Mütter – des modernen germanischen Heidentums. Diese christliche Systematik spiegelt sich zum Teil schon in der eben beschriebenen Lebenswirklichkeit wider, indem wir bewusst oder unbewusst Vergleiche zwischen Kommunion/ Konfirmation/Jugendweihe zu Ritualen wie Mannbarkeit/Fraubarkeit/Geschlechtsreife ziehen, uns bei Beerdigungen mit christlich geprägten Mustern beschäftigen müssen und gerade bei Beerdigungen einer rechtlichen Regelung folgen, die nur schwer eine tatsächliche Trennung von Kirche und Staat erkennbar macht. Das Läuten der Glocken am Sonntag zum Gottesdienst ist eine christliche Tagesstruktur, Weihnachten und Ostern sind Feste im christlichen Festkalender. Diskussionen darüber, ob es sich bei Ostern und Weihnachten um das eindeutige Reklamieren von heidnischen Feiertagen für christliche Feiertage handelt, führen in die Irre. Subtrahiert man vom aktuellen Ritus der Osterfeierlichkeiten die christliche Geschichte um Kreuzigung und Auferstehung, reduziert man Weihnachten um die Geburt des Heilands in einer Krippe, dann bleiben zumindest bunte Eier, Hasenkostüme, weißbärtige Männer in roten Mänteln und Tannenbäume. Es wird ausgesprochen schwer fallen, diese in der „Edda“ wiederzufinden. Auch die Vorstellung, dass Wikinger auf dem Weg nach Amerika Pause gemacht haben, um sich gegenseitig entweder mit selbstbemalten Eiern zu erfreuen oder aber vor der Belagerung von Lindisfarne erst noch in Ruhe, Punsch trinkend und singend, um einen Tannenbaum gesessen haben, ist genauso widersinnig, aber einmal mehr zeigt sich, dass unsere Kultur ein Mischmasch aus verschiedenen Einflüssen ist. Oder, um kurz zu beleuchten, wie hebräisch wir manchmal denken: Ein Tohuwabohu unterschiedlichster Einflüsse, die in der Summe abendländisch, aber ohne Christentum nicht automatisch germanisch-heidnisch sind. Schlimmer hat sich die christliche Begrifflichkeit dort ausgewirkt, wo eine Scheidung in der Mentalität zwischen Protestanten und Katholiken in der Begrifflichkeit der germanischen Heiden Niederschlag fand. Etwas platt formuliert, legte der katholisch geprägte Teil der Bevölkerung mehr Wert auf eine klare Struktur in eine päpstlich geführten Kirche, so dass man sagen kann, dass der Heidenpapst nicht grundlos Heidenpapst genannt wird, weil er seit den ersten Tagen der Reformation nichts dazu gelernt hat, was Religionskritik betrifft. Und die Berufung darauf, dass man entweder über das Hineindenken in das Rückenmark echte heidnische Priester channeln kann, die Wiedergeburt von Widukinds Berater ist oder aber durch Handauflegen vom letzten lebenden Mitglied der Gruppe um Hadebrecht Hudbrandson geweiht und akzeptiert worden ist, beweist doch nur, dass man die historische Lüge der ungebrochenen apostolischen Sukzession von den Aposteln bis zu jedem Bischof heute übernommen hat, um päpstlicher zu sein als der Papst. Damit wird man zwar kein Heide, aber man kann nicht alles haben.
Wir müssen uns hier nicht weit mental bewegen, um eine vernünftige Regelung zu finden. Ein Heiler, der heilt, hat Recht. Genauso hat der Priester Recht, dessen Rituale kraftvoll sind und „funktionieren“, so dass die Berufung auf Abstammung, Ausbildung oder gar Zugehörigkeit zu einer auserwählten Volksgruppe nur ein Minderwertigkeitsgefühl kompensieren soll, das dem germanischen Heiden historisch fremd war und dem germanischen Heiden aktuell fremd sein sollte. Jene Heidengruppen, die einen starken Führer brauchen, reproduzieren nur die Machtstruktur der Kirchen und werfen ein bezeichnendes Licht auf das Ego ihres Gründers oder ihrer Gründer. Lustigerweise sind dies in den meisten Fällen wirklich Männer, so dass ich mir beim ersten Formulieren den Satz den Teil „das Ego ihres Gründers oder ihrer Gründerin oder ihrer Gründer und ihrer Gründerinnen“ sparen konnte, was mich zumindest vom Sprechfluss her ein wenig aufatmen lässt. Anmerkung: Eine Gender-sensitive „Edda“- Übersetzung befindet sich nicht in meinen Regalen, und bis eine akzeptable weibliche Form von „Tölpel“ gefunden ist, entziehen sich schon Zeilen der „Havamal“ in der Simrock-Übersetzung dieser Bearbeitung. 6. Gesetzte Rituale Ich bezeichne die Rituale in den beschriebenen Dimensionen als gesetzte Rituale. Sie sind dies, weil sie auf gesetzte, äußere Einflüsse reagieren, die ohne unser Zutun von der Welt an uns herangetragen werden. Zeitlauf und Lebenslauf, das sind universelle Geschehnisse, objektive Bedingungen, denen zu entziehen unmöglich, denen sich in einer heidnischen Gemeinschaft zu stellen wichtigste Aufgabe ist, um religiöse Grundfragen zu beantworten und darüber hinaus jenen „Kitt“ zu erzeugen, der aus einer Gemeinschaft eine Ritualgemeinschaft macht. Kommen wir nun endlich zu jener Gruppe von Ritualen, in welche ich Schwüre und Eide einsortieren würde. 7. Nicht-Gesetzte Rituale Dieser Rahmen ist sehr weit, denn er umfasst alle jene Rituale, die nicht in einer der beiden eben genannten Dimensionen zu verorten sind. Zu den „Ritualresten“ gehören die unterschiedlichsten Dinge, von der Hausreinigung bis zum Weihen von Gegenständen, die so beliebten Rituale des Blotens und Sumbelns gehören ebenso in diese Gruppe wie die Weihe eines Platzes durch das Thorshammerritual. Und mit den nicht-gesetzten Ritualen erreichen wir endlich das Ziel des Titels, nämlich Eide und Schwüre. 8. Eide und Schwüre: Begrifflichkeit Mein gutes „Conversations-Lexikon für alle Stände“ von 1834 kennt als Eintrag weder Schwur noch Eid, die Lücke zwischen „Edelsteine“ und „Eier“ bzw. „Schwißflecken“ und „Seecharten“ bleibt leer. Eine weitere Quelle des Wissens, „Brockhaus‘ Kleines Konversations-Lexikon“ von 1906 hilft weiter. Dort ist der Eid „die feierliche Beteuerung einer Aussage durch Anrufung Gottes als Zeugen der Wahrheit. Die zu bestärkende Erklärung kann sein entweder das Versprechen, etwas zu tun oder lassen zu wollen (… Voreid), oder die Versicherung, etwas getan oder gelassen zu haben (…, Nacheid).“ Im „Brockhaus“ gibt es dazu noch die „Eideshelfer“, nämlich „im ältern deutschen Recht Personen (meist sieben), welche die Glaubwürdigkeit eines vor Gericht Schwörenden durch ihre Eidesleistung unterstützen“. Lapidar heißt es dort dementsprechend unter „Schwur“: „s. Eid“. Etymologisch ist die Herkunft der Worte ziemlich klar. In Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache heißt es 1899 zum
Eid „mdh. eit“ und „ahd. Eid“. Für „schwören“ gibt es hier mhd. „swern, swerjen ahd. Sweren swerian“ sowie „got. Swaran“. Und: „Die darin enthaltene germ. Wz. Swar hatte ursprgl. eine weitere Bedeutung als die gegebene; denn Spuren in einzelnen Dialekten geben der Wz. die Bedeutung »antworten«.“ Als Beispiel wird z.B. das englische „to answer“ (antworten) genannt. Kluge spricht von einer Bedeutung als „Rede und Antwort stehen“. Für „Schwur“ kennt er nur die Zusammensetzung im mhd. „meinswuor“ für „Meineid“ und ahd. „eidsuwor“ für „Eidschwur“. Über hundert Jahre später heißt es 2002 in der 24. Auflage fast dasselbe, es wird nur auf eine unwahrscheinliche Ableitung aus dem Keltischen hingewiesen. Das Adjektiv „eidlich“ wird neu benannt. Der „Schwur“ kommt als Stichwort nur unter „schwören“ vor, bleibt in der Ableitung aber ähnlich, verzichtet auf die Hinweise zu „Meineid“ und „Eidschwur“. Das „Mackensen Deutsches Wörterbuch“ von 2006 verweigert sich der neuen deutschen Rechtsschreibung, ist aber inhaltlich weiter brillant. Zu „Eid“ heißt es hier: „feierliche Beteuerung einer Aussage (eines Versprechens)“. Die Verbindung zum Schwur wird hergestellt (Verweis auf Schwur ablegen, schwören, brechen, durch Schwur bekräftigen, unter Schwur aussagen, an Eides Statt). Verwiesen wird u.a. auf den Eidbruch, Eidesablehnung, Eidesbelehrung, Eidesformel, eidesstattlich und den „Eidgenoß“ als „durch Schwur verbundener Freund“. Schön ist das altertümliche „Eidstaber“, als „spricht die Schwurformel vor“. Zu „Schwur“ vermerkt er den Verweis auf den Eid, die „Schwurfinger“ und das „Schwurgericht“. Abgesehen davon, dass man hier Fundgruben von Hinweisen auf eine schöne, heidnische Schwurpraxis findet, die uns verloren ging – der vergessene Eidstaber, der nur für Schweizer verwendete Eidgenosse und die Eidhelfer – ist die Wortbedeutung erträglich klar. Ein Eid ist ein feierliches Versprechen unter Berufung auf Gottheiten, das Schwören würde ich als die Tätigkeit dazu verstehen. Das hat den Vorteil, dass man zwischen Eid und Schwur im Moment nicht unterscheiden muss, genauso wenig zwischen (be)eiden und schwören. Beide Begrifflichkeiten geben genug her, um hier weitere Unterscheidungen und Definitionen für die Praxis einzubauen; hier und heute werde ich diesen nebeligen Nebenweg aber liebevoll vermeiden. 9. Eide und Schwüre: Praxis Hier wird es unfassbar schwierig. Auf der einen Seite haben wir hier die gelebte Praxis im „Eldaring“, auf der anderen Seite die sekundäre Literatur. Beginnen wir mit dieser. 1909 heißt es noch bei Meyer in Altgermanische Religionsgeschichte: Eine spezifische Form des Gebets, d.h. der Anrufung der Götter stellen Eid und Gelübde dar (…).1 Komischer wird seine Formulierung noch beim Eid: Schon indogermanisch schien uns Eine [sic] moralische Forderung mit der Mythologie verknüpft: über der Heiligkeit des Eides wachen die Götter, und schwere Strafe in der Unterwelt trifft den, der gegen ihre Bürgschaft gesündigt hat. Aber eigentlich ist auch dies nur ein Sonderfall der ältesten Tugendforderung: der nach Treue bei freiwilliger Verpflichtung.2 Hier schimmert doch viel christliche Ethik hindurch – vom Eid als Gebet bis zur Strafe in der Unterwelt keine Bilder, die man im heutigen germanischen Heidentum verwenden könnte.
Die modernere Literatur ist da viel weiter. Ein Beispiel sei erlaubt. GardenStone schreibt in Germanischer Götterglaube: Einerseits erwartet man durch Einbeziehen einer Gottheit [beim Schwören, HR] Beistand bei der Einhaltung des Eides, anderseits beinhaltet dies auch die Androhung der Bestrafung durch eben diese Gottheit bei Eidbruch oder Meineid.3 Man müsste dieser Begriffsverschiebung weiter folgen, um genau herauszuarbeiten, was in den 100 Jahren dazwischen passiert ist. Aber auch das ist nicht Ziel meines Vortrags. Wie sieht die gelebte Praxis im „Eldaring“ aus? Das Ritualbuch des Eldaring e.V. bringt unter „Eide und Schwüre“ einen guten Beitrag von Andreas Mang, der folgenden schönen und jetzt hoffentlich nachvollziehbaren Einführungssatz hat: An dieser Stelle soll nicht ausführlich und genau darauf eingegangen werden, worin sich Eide, Schwüre und sonstige einseitige oder gegenseitige Verpflichtungen wie ganz gewöhnliche Vertragsabschlüsse unterscheiden. Auch er nennt den Anlass „Eide“, die Handlung „schwören“. Er verweist auf die Festlegung, dass der „Eldaring“ dank eines bemühten Mitglieds durchgesetzt hat, dass bei der Vereidigung eines ehrenamtlichen Richters eine von seiner Religionsgemeinschaft definierte Beteuerungsformel verwendet werden kann. Die gesetzliche Grundlage, § 45 (5) Deutsches Richtergesetz, lautet komplett: „Gibt ein ehrenamtlicher Richter an, dass er als Mitglied einer Religions- oder Bekenntnisgemeinschaft eine Beteuerungsformel 3 GardenStone, S. 415 dieser Gemeinschaft verwenden wolle, so kann er diese dem Eid oder dem Gelöbnis anfügen.“ Das ist ein klares Beispiel für die sinnhafte Verknüpfung von germanischem Heidentum und Eiden in der Gesellschaft, aber ein Beispiel, das im normalen Leben eines Heiden selten stattfinden wird. Der zweite Eid ist die Verwendung einer Formel für die Vereidigung neuer Vorstandsmitglieder, die (laut Kurt Oertel) ungefähr folgenden Kern umfasst: „Ich schwöre, dass ich mein Amt nach bestem Wissen und Vermögen erfüllen werde, gemäß Satzung und Selbstverständnis des Eldarings, unparteiisch und gleichermaßen gerecht gegen alle.“4 Interessant ist, dass der ehrenamtliche Richter einen Religionsbezug herstellen muss, während der germanische Heide dies nicht tut, wenn er Vorstandsmitglied werden muss. Früher gab es eine Oertel‘sche Version dieser Formel, die sich ein wenig am Urfehdebann bzw. der Treuschwurformel aus der „Grettis saga“ orientiert hat. Aber in den ersten Jahren des „Eldaring“ war sowieso alles besser, die Heiden waren heiterer, die Vorstände vollständiger und die Things trinkfester. Was enthielt die Oertel’sche Version damals? Ich weise darauf hin, dass die Dokumentation der frühen Jahre des „Eldaring“ lückenhaft ist, so dass wir uns bei Überlieferungen zum großen Oertel und seinen Werken, den sogenannten Oerteliaden, auf die mündliche Überlieferung verlassen müssen, die nicht immer mit Dokumenten gestützt werden kann. Man erinnert sich düster früher an eine textliche Parallele zum Urfehdebann. Bei Simek liest sich dieser wie folgt: Ein Verräter ist, wer den Frieden bricht und die Versicherung stört, fortgetrieben von Gott und
allen guten Leuten, aus dem Himmelreich und allen Heiligen und soll nicht unter Menschen leben dürfen und soll von überall wie ein Wolf ausgestoßen sein, wo Christen zur Kirche gehen, Heiden Opfer bringen, Feuer brennen, die Erde etwas wachsen lässt, ein Kind die Mutter ruft und eine Mutter einen Sohn gebiert, Menschen Feuer schlagen, Schiffe segeln, Schilde blinken, die Sonne scheint, Schnee fällt, Finnen Schi fahren, die Föhre wächst, der Falke an einem langen Frühlingstag fliegt, von günstigem Wind unter beiden Schwingen getragen, der Himmel sich wölbt, Häuser bewohnt werden, der Wind die Wasser zum Meer weist und Männer Korn säen. Er soll die Kirchen und Christen meiden und die Opfer der Heiden, Haus und Höhle, jedes Heim, außer der Unterwelt.5 Irgendwie war da mehr Lametta; selbst wenn wir die christlichen Bezüge rausstreichen, bleibt eine Menge „Action“ übrig. 10. Lametta Damit der Eid in Szene gesetzt wird, brauchen wir Lametta. Ein wenig heidnischer Eifer als Sahne auf den Kuchen, oder einfach eine Kür zur Pflicht, damit der Eid sich von den anderen nicht-gesetzten Ritualen abgrenzt – wie der 5 Simek, S. 112 f. Hausreinigung oder das Weihen einer magischen Kordel zur Platzbegrenzung oder des Besingens der kraftvollen kubischen Klangschalen vor der Verwendung in einem Ritual zu Ehren von Sinalco, der lippischen Göttin des Erfrischungsgetränkes. Man mag jetzt auch verzeihen, wenn ich dem Tempel als Ort der rituellen Handlung nicht das Wort rede. Ich brauche ihn nicht, ebenso wenig wie einen Priester oder eine Priesterin. Denn wenn wir diese Pfade hin zu Tempelbau oder Priesterweihe gehen, kommen wir an Orte, die ich nicht erreichen will – ein Tempel hat immer einen Hüter, ein Priester immer eine eigene Agenda. Beides sind tolle Anschaffungen, wenn die Gemeinschaft sie mitträgt, aber ich als Teil der Gemeinschaft sehe diese Bereitschaft im Moment in meinem Umfeld noch nicht, daher verzichte ich darauf. Manchmal werde ich natürlich schon nachts schweißgebadet wach und überlege mir, wie schön es wäre, wenn ich wieder jemanden hätte, der mir alle Ritualhandlungen erklärt und mir sagt, wie ich mein Leben führen soll. Das ist dann der christliche Impetus, der sich bei mir ab und an noch einmal seinen Weg bahnt. Ist so, kann man wenig gegen tun außer darüber zu reflektieren. Habe ich für dieses Jahr jetzt getan, ist also erledigt. Also: Wir haben keine Tempel und keine Priester. Aber wir können Faktoren festlegen, die den Eid wieder in eine Handlung einbetten, die dafür sorgt, dass er in seiner Besonderheit erkannt und auch genutzt wird. Die Germanen kannten den Wald als heiligen Ort, und das sollten wir auch tun. Gerade unsere Grundidee bei der Kneipe am Kreuzweg gibt ein Bild vor, das der Weggabelung Sinn gibt – und genau an der Weggabelung befindet man sich auf seiner mentalen Landkarte, wenn man einen Eid ablegt, weil man sich für einen bestimmten Weg entscheidet und sich darauf festlegt.
Im 7. Jahrhundert schrieb der heilige Eligius: Kein Christ soll an alten heiligen Stätten oder an Felsen und an Quellen und unter Bäumen oder in einem Hag oder auf Dreiwegen Lichter anzünden und hierbei Gelübde verrichten.6 Wenn das kein Hinweis darauf ist, dass man an Weggabelungen – Dreiwegen – genau das getan hat, dann weiß ich nicht weiter. Dazu kommen andere Faktoren, weitere Möglichkeiten, die man einbinden kann. Eine schöne Möglichkeit ist das Wählen der nächtlichen Dunkelheit, das Schwören unter dem Sternenhimmel, denn laut Herrmanns Deutsche Mythologie soll die Milchstraße auch der Iringsweg sein, „der Wagen des Himmelsgottes Irmin Tius. Noch bei Leibniz lebt das Gestirn des großen Bären als Irmines Wagen fort.“7 Und natürlich: Das Feuer. Schon bei Eligius eben wurden die Lichter an den Dreiwegen er- 6 Nach Herrmann „Deutsche Mythologie“, S. 322 7 Herrmann „Deutsche Mythologie“, S. 214 wähnt. Das Licht in der Dunkelheit, die Fackel, die uns Gesichter erkennen lässt, aber die Umgebung im Dunkel versinken lässt. Das Feuer, das zerstört und verteidigt und verändert. Kommen wir dann zur Anrufung. Der zuständige Gott dürfte meist Tyr sein, der (Zitat Herrmann) „Hüter des Rechtes und Schirmer des Eides“8. Oder um den Oertel zu zitieren: Tyr steht einfach für die Rahmenbedingungen, unter denen das jeder Gesellschaft eigene Streit und Konfliktpotential so beigelegt werden konnte, dass es die Gemeinschaft stärkte und nicht spaltete.9 Das ist ein Satz, der dem Sozialarbeiter in mir gut gefällt – das Konfliktpotential wird so beigelegt, dass es die Gemeinschaft stärkt. Weise Worte, die sich hier verbergen. Tyr. Okay, kann man diskutieren. Natürlich steht es jedem frei, an dieser Stelle alternativ für
Forseti zu sprechen. Ich möchte hier zart darauf hinweisen, dass der zugrundeliegende Hinweis für eine entsprechende Praxis sich auf Helgoland bezieht – vielleicht ist hier mit Helgoland ein besonderer Ort genannt, der aus bestimmten Gründen anders zu handhaben war als das sonstige Land.10 Wenn ich jemals gezwungen sein sollte, auf Helgoland zu schwören, nehme ich Forseti, ehrlich. Bis dahin bleibe ich bei Tyr. Was können wir noch tun, um den Eid „aufzupeppen“? Was sind denn Schwurfinger und wie sieht die Geste aus, die man zum Schwören benutzt? Überhaupt: Die Symbole. In England soll es auf Jahrmärkten als Hinweis auf die Rechtsprechung u.a. eine Stange mit einem aufgesteckten Handschuh gegeben haben; angeblich Hinweise auf Irminsul und Tyrs abgetrennte Hand.11 Ort, Gott, Symbol. Beim Ritual könnte man für den Anfang den Urfehdebann plündern, der sich auf alle Gegebenheiten problemlos anpassen lässt. Ein Beispiel muss genügen: Wenn ich diesen Eid breche, so soll ich sein fortgetrieben von den Göttern und allen guten Menschen, soll nicht mehr unter ihnen leben dürfen und ausgestoßen sein, überall, wo Heiden Opfer bringen, Feuer brennen, Schiffe segeln, Schilde blinken, die Sonne scheint, Schnee fällt, der Baum wächst, der Falke fliegt, der Himmel sich wölbt, und der Wind die Wasser zum Meer weist. Wem das zu wenig ist oder nicht zusagt, der sei an Goethes „Faust“ erinnert. Einen Text aus 10 Vgl. Oertel, S. 262 f. 11 Vgl. Oertel, S. 151 Kapitel 6 leicht verändert, und schon haben wir einen Text für einzubauende Eidhelfer, der die vier Elemente in der Reihenfolge Feuer, Wasser, Luft und Erde einbindet: Salamander soll glühen, Undine sich winden, Sylphe verschwinden, Kobold sich mühen. Was für ein Bild: Ein Eidstaber, der die Formel vorspricht. Ein Text, der lyrisch klingt, aber klar formuliert ist. Die Einbindung von Tyr in den Eidtext. Vier Eidhelfer, einer für jede Himmelsrichtung und für jedes Element, welche die Formel bekräftigen. Dazu ein schöner Ort als Kulisse, vielleicht eine Weggabelung im Sternenschein, das Licht der Fackeln als Fokus für unsere Erinnerung, die Schwurfinger und die Stange mit dem Handschuh als Symbole – jetzt brauchen wir nur noch ein Thema für einen Eid. 11. Und jetzt? Sagen wir es mal ganz salopp: Wir schwören zu wenig. Vielleicht hat uns das III. Reich die Quelle verschmutzt, aus der wir sonst trinken konnten. Die Fahneneide der Soldaten, der Eid auf den Führer, die unfassbar gruseligen Schwüre, die man sich gab, um in einem faschistischen Ragnarök weiterzukämpfen, bis endlich die Wunderwaffen Tod und Vernichtung auf die Feinde vom Himmel herab herunterregnen würden … das hat uns stumpf gemacht gegen ein gängiges Mittel des Ausdrucks heidnischer Praxis. Natürlich gibt es sie noch, die Liebesschwüre, die Versprechen und alle diese Dinge. Aber wir haben kaum noch „große Dinge“, die wir mit einem Eid bekräftigen könnten. Dabei ist so viel Platz dafür. Nur einen Themenkomplex kurz angerissen, dann ist es vorbei. Wir werden älter. Gemeinsam älter, wenn das funktioniert. Schaffen wir es,
eine Gemeinschaft zu bilden, die mit Siechtum, Tod und Krankheit umgehen kann, mit sozialer Isolierung durch das Wegsterben der Freunde und Vereinsamung durch unzureichende Geldmittel aus der Rente? Können wir füreinander einstehen, als Sippe, als Stammtisch, als Kreis, als Bluts- oder Nicht-Bluts-Familie? Kriegen wir einen Bund hin, der mehr ist als das gemeinsame Feiern von Ritualen? Wo stehen wir in 5 Jahren? Wo in 10 Jahren? Mit wem sumbele ich, wenn ich 75 bin? Wer spricht auf meiner Beerdigung? Ich war in meinem Leben sehr zurückhaltend, was Schwüre und Eide betrifft. Im heidnischen Kontext gibt es nur einen, ich war jung, und geschadet hat er mir eigentlich nicht. Wichtiger ist mir aber das Versprechen, das mir mein Bruder gegeben hat: Er versprach, für mein schmerzloses, schnelles Ableben zu sorgen, sollte ich mal nur an Maschinen gebunden dahinvegetieren. Sind das nicht alles Themen, bei denen man mehr als nur ein Gespräch am Feuer investieren muss? Und sind das nicht genau die Themen, die für uns wichtig sind, wenn wir eine Perspektive für Menschen sein möchten, die mehr suchen als Met zu Mettbrötchen? Das muss jetzt ausreichen. Zum Schluss noch fünf Sätze von mir, als Vortragsbonus gratis dabei, weil ich noch Sendezeit habe. 1. Eine Verschwörung muss kein Verbrechen sein. 2. Ein Kreuzweg ist kein christliches Symbol. 3. Die Milchstraße ist gerne Zeuge beim Eid. 4. Braucht man nicht zu jedem, der etwas verspricht, einen, der etwas vorspricht? 5. Das Tier des Schwurs muss der Salamander sein, denn er ist eine Eid-Echse. Danke. Verwendete Literatur Brockhaus‘ Kleines Konversations-Lexikon, Leipzig, 1906. Conversations-Lexikon für alle Stände, Leipzig und Stuttgart, 1834. Das Ritualbuch des Eldaring e.V., Version 1.5, online, 2015. GardenStone Germanischer Götterglaube, Norderstedt, 2009. Herrmann, Paul Deutsche Mythologie, Berlin, 1992 (Org. 1898). Herrmann, Paul Nordische Mythologie, Berlin, 1992 (Org. 1903). Jordan, Wilhelm Die Edda, Frankfurt/Main, 1910. Kluge, Friedrich Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Straßburg, 1899. Mackensen, Lutz Deutsches Wörterbuch, Waltrop und Leipzig, 2006. Meyer, R. M. Altgermanische Religionsgeschichte, Stuttgart, o.J. (Org. 1909). Oertel, Kurt (Hrsg.) Asatru – Die Rückkehr der Götter, Rudolstadt, 2012. Seebold, Elmar (Bearb.) Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin und New York, 2002. Simek, Rudolf Die Edda, München, 2007.