Braunschweig 2022 – Oder: Warum ich keinen Sport brauche

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Mit dem Piepen des elektronischen Weckgeräts begann meine Rhodan-Schicht mit Sonnenaufgang an einem Samstag. Wir hatten am Abend vorher Besuch von einem meiner Patenkinder samt Eltern, so dass der Morgen nicht unbedingt nach einer langen, durchgeschlafenen Nacht begann.
Duschen, Frühstück, Bahnhof. Kurz nach sieben Uhr saß ich im Zug, der mich immerhin direkt nach Braunschweig brachte. Unterwegs vertiefte ich mich noch einmal in meine Notizen für den Tag der Todesprogrammpunkte (wie ich ihn inzwischen zu nennen begann).
Rechtzeitig zur Eröffnung konnte ich vor Ort die ersten Gäste begrüßen. Nach der ersten Viertelstunde der Eröffnungsrede machte ich mich vom Acker und bereitete in dem für mich hergerichteten Zweitsaal meinen ersten Programmpunkt vor. Den Morgen durfte ich nämlich demnächst mit Nils Hirseland eröffnen, der gerade noch die Eröffnungsrede hielt.
Nils war natürlich ein netter und fast schon einfacher Gesprächspartner. 43 Jahre alt, in den Norden verschlagener Berliner, immerhin seit fast vier Jahren Vorsitzender der PRFZ.
Die wirklich kniffligen Fragen beantwortete er souverän: Was wurde aus dem älteren Bruder, der ihn mit PERRY RHODAN in Kontakt brachte? Was geschah mit dem armen Thorsten Eyrich, mit dem er gemeinsam den PERRY RHODAN Online Club übernommen hatte? Die Sieger schreiben Geschichte und im Hirseland-Kosmos verschwand Thorsten Eyrich genauso wie der ältere Bruder aus der Erzählung.
Interessant ist vielleicht noch, dass Nils‘ Artikel „Perry Rhodan ist ein Held!“ in der „Morgenwelt“ aus dem Jahr 1999 online verschollen ist. Aber warum soll es dem Artikel besser gehen als Thorsten Eyrich?
Eine amüsante halbe Stunde. Danach blieb Zeit für einen weiteren Kaffee (lang lebe die Kaffee-Flatrate) und schon ging es wieder zurück in „jenen Raum“.
Robert Corvus, der Rabe stand nun auf meinem Programm. Da sein 50. Geburtstag erst einige Tag her ist, ließ ich den Saal unter meiner Anweisung „Alles Gute zum Geburtstag“ singen. Klappte hervorragend.
Es ging um Namen (Bernd Robker, Bernard Craw, Robert Corvus), um Bramsche und seine Gymnasien (Stichwort Greselius), es ging um unser Kennenlernen vor 35 Jahren (FreuCon 1988) samt der damit verbundenen Geschichten um heilige Kopftücher und den „John Sinclair Fanclub Nordheide“. Wir machten einen Schwenker über FOLLOW (wo Bernd 1989 eingetreten war) und unser gemeinsames, großes Vorbild Dieter Steinseifer zurück zum beruflichen Umfeld. Natürlich sprachen wir über den ColoniaCon und Köln, unsere beider Werke für „BattleTech“ und ein wenig über PERRY RHODAN.
Anschließend war dann Kai Hirdt dran, TOP 3. Wir waren uns nicht einig, wie lange wir uns kennen (eine gute Theorie ist der Garching-Con 2006), aber immerhin war das einer von den Programmpunkten an diesem Tag, an dem ich singen durfte. Dem Seelöwen aus der „Urmel“-Serie folgend sangen wir gemeinsam „O alte Burschenherrlichkeit, wohin bist du entschwunden?“ Außerdem ging es um Studentenverbindungen, das Schreiben und das Familienleben.
Ich hatte kurz Zeit, mir eine Pizza und ein Glas Cola Light in den Verdauungsapparat zu transponieren, bevor die Jahreshauptversammlung der PERRY RHODAN FanZentrale startete. Als gefühlter Alterspräsident dufte ich die Sitzung leiten, was trotz der Versuche, mich aus der Fassung zu bringen, gelang.
Ein Kaffee war möglich, bevor es mit der charmanten Janina Zimmer in den Nachmittag ging.
Hierfür gab es auf dem ColoniaCon im Sommer ein Vorgespräch, um sie auf das Gespräch „einzuschwingen“. So konnte ich im Saal auch die erste Frage wie vereinbart stellen: „Bist du wirklich die Tochter aus erster Ehe von Marion Zimmer-Bradley?“ Danach war das Eis gebrochen. Unser erstes Treffen hatte schon gezeigt, dass wir miteinander klarkommen, wenn es um Humorkonzepte ging. Natürlich durften Fragen zu ihrer Profession nicht fehlen: Heftromane sind doch die Dampfloks des Verlagsgewerbes – wie stehst Du dazu? Ist das nicht ein wenig das Arbeiten in einem aussterbenden Bereich, sozusagen Facebook versus Heftroman?
Und dann kamen die Fragen zum Generationenwechsel im PERRY RHODAN-Marketing: „Rhodan erscheint seit 1961 – 30 Jahre vor deiner Geburt. Das ist mit etwas Glück das Geburtsjahr deiner Eltern – ist das nicht manchmal komisch?“ Und natürlich die Abschlussfrage, die man sich kaum verkneifen kann, wenn ihr pensionierter Vorgänger auf dem Con anwesend ist: „Dein eigener Renteneintritt ist rechnerisch 2057. Das ist ziemlich genau die Zeit für Heft 5000 – ein guter Ausstiegstermin?“
Es folgte eine kurze Verschnaufpause samt Konsum von aus Tabakblättern hergestellten Schmauchröllchen.
Arndt Ellmer, TOP 6 meiner Liste, könnte man wahlweise unter dem Thema „Wir kennen uns ewig“ oder „Zu fit für die Schriftstellerrente“ verkaufen. Rührend fand ich, dass irgendwie ein seiner Frau vor vielen Jahrzehnten gegebenes Versprechen der Grund ist, dass er noch lebt. Das wusste ich nicht – und der Teil, in dem er sehr offen über seine Krankheit sprach, war für mich der beeindruckendste in diesem Gespräch.
Wir zwei kennen uns seit Mitte der 80er, irgendwann auf einem FreuCon sind wir uns über den Weg gelaufen. Jetzt ist er der Alt-Autor, ich bin dann wohl der Alt-Fan. Der Autor Ellmer ist beeindruckend, wenn man sein Werk betrachtet: 113 Einträge in der Deutschen Nationalbibliothek und Werke von „Der Hexer“ über „Vampira“ und „Die Ufo-Akten“, wenn man PERRY RHODAN mal ignoriert. Und er brachte sogar ein paar lustige Geschichten über den gemeinsam mit Wolfgang Hohlbein geschriebenen „Jerry Cotton“ 1753 „Der Hundertdollarkiller“ zu Gehör.
Da wir gerade bei Gehör sind: Ich weiß jetzt eine Menge mehr als vorher über indoeuropäische Heteroklitika. Erstaunlich und schön, dass der Autoren-Mammut der PERRY RHODAN-Serie noch so frisch überraschen kann.
Wieder war Zeit für einen Kaffee, dann ging es weiter mit Rüdiger Schäfer. Nach vielen Jahrzehnten des Kennens stellten wir jetzt erst fest, dass wir tatsächlich nur neun Tage altersmäßig auseinander liegen. Das fällt einem nur auf, wenn man sich mindestens 30 Jahre kennt. So (nämlich mit dem Verdrängen des Offensichtlichen) sind auch Bilddokumente wie jenes zu erklären, dass ich Rüdiger an dieser Stelle präsentiert: Auf der Bühne Frank Möller und ich, davor Rüdiger, der ein Schild „Exzess“ hoch hält. Keine Fragen.
Das wegen seiner Quiz-Liebe von mir präsentierte 5-Fragen-Perry-Quiz absolvierte er glamourös. Hier für die Fans die Fragen und die Antworten samt Kommentar:
1. Welcher MdI ist Faktor V? Nevis Latan. Muss man nicht wissen.
2. Was ist das wichtigste Lied der Clark-Sisters? Hier war er fast richtig, „Blowing Bubbles“ war gut für „I’m forever blowing Bubbles“, das Stück, das man OLD MAN vorspielen musste.
3. Wie nannte Omar Hawk seinen Okrill? Sherlock. Fast zu einfach.
4. Wie heißt die Sonne von Last Hope? Bolo. Weiß sowieso kein Mensch, war nicht schlimm, dass er hier keine Antwort wusste.
5. Was war die Mutantenfähigkeit von Ralf Marten? Teleoptiker. Ratend war er nahe drin, aber wer wird auch Teleoptiker …
Ben Calvin Hary heißt eigentlich Benjamin Hary, hat mit dem gleichnamigen „Professor of Hebrew and Judaic Studies“ in New York nix zu tun, spricht für einen Saarländer gutes Hochdeutsch und ist sehr unterhaltsam. Es ging um das Datum, an dem er die Chefredaktion zu übernehmen gedenkt, um die vier Temperamente (Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker, Sanguiniker) und seinen Alternativweltroman um das Rennen zum Mond. Alle Zuhörer wissen jetzt auch, dass sein Ex-Schwiegervater Marek hieß und ein Raumschiff bauen wollte.
Was seine Autorenkarriere betrifft, so scheinen an seiner Wiege drei Feen gestanden zu haben, die alle „Du wirst Autor“ in sein Ohr geflüstert haben. Glück muss man haben.
Die kurze Pause nutzte ich für einen Schnellbesuch im Hotel, um mich einzuchecken. Muss auch mal sein.
Der nächste Punkt war der neunte Punkt auf meiner Liste. Und langsam merkte ich doch, dass ich in diesem Fan-Marathon ein paar Kalorien lassen würde.
Roman Schleifer wollte wohl nicht mit mir alleine sprechen, deshalb hatte er Gerd Domin mitgebracht. Und Rüdiger Schäfer schaltete sich auch in das Gespräch ein, so dass die nächste halbe Stunde ein sehr launiges Quartett war. Roman konnte sich zurücklehnen, nachdem er klargemacht hatte, dass er jahrelang versucht hatte, Gerd Domin aufzutreiben. Das war ihm gelungen, und Gerd Domin genoss es sichtlich, über seine Comic-Vergangenheit zu sprechen. Er nahm sehr erstaunt wahr, wie viele Fans er heute noch hat – und viele im Raum konnten sich beim Ansehen der Cartoons (die an die Wand projiziert wurden) wieder amüsieren. Man kann nur hoffen, dass wir von Gerd wieder einiges zu sehen bekommen werden.
Roman war im siebten Fan-Himmel. Der normalerweise nicht sehr schüchterne Autor war glücklich, seine Personen-Suchliste mit Domin weiter minimiert zu haben. Am wichtigsten war aber: Wir hatten Spaß.
Mit Olaf Brill konnte ich gleich anschließen. Wieder jemand, der ungefähr gleich alt wie ich ist. Aufgewachsen mit dem Fernsehen der 70er und 80er, im Fandom genauso lange wie ich unterwegs.
Olaf ist der Mann der tausend Fähigkeiten. Studierter Philosoph mit einem Termin 1994 bei Stanislaw Lem für ein Interview, Stummfilmfachmann mit einem Klassiker über „Caligari“ im Portfolio, charmanter Plauderer zu den Filmen von Fritz Lang, dazu noch beinahe nebenher aus dem Handgelenk geschüttelt Autor für PERRY RHODAN. Gemeinsam haben wir die halbe Stunde fast ohne Luft zu holen durchgeplaudert.
Ein weiterer Altersgenosse war dann Götz Roderer. Wir zwei sind ja – wie wir gerne lachend zu geben – „am unteren Ende der Rhodan-Nahrungskette“, unseren gemeinsamen Auftritt bei der Autoren-Autogrammstunde 2011 in Mannheim bezeichnen wir inzwischen als „Lehrstunde in Bescheidenheit“.
Dieses Mal hatte Götz vorgebaut. Begleitet von seiner zauberhaften Frau suchte er mehrmals die Möglichkeit, im Vorgespräch einerseits ihr klarzumachen, dass wir alle gar nicht verrückt sind, um dann mich daran zu erinnern, was wir alles an verrückten Sachen gemacht haben. Das Konzept schien mir in dem Gespräch selbst nicht aufzugehen, aber alles war gut, als er dann abends lachend mit mir auf der Bühne saß.
Natürlich ging es wieder um jene Mobilität, die er beruflich fördert, aber privat umgeht (und sei es nur, indem er bei der Bahn konsequent falsche Fahrkarten kauft). Es ging auch um Musik und Komposition, unveröffentlichte Bücher, Auslandsaufenthalte und die Unnötigkeit von Pseudonymen, wenn man Hannibal Othello Xerxes Utan oder eben Götz Roderer heißt.
Jetzt war die Zeit für ein schnelles Abendessen gekommen, bevor ich mich gemeinsam mit Robert Vogel in die „Late Night Old Rocketman“ stürzen wollte. Immerhin machte ich damit das Dutzend an Programmpunkten voll, von daher war es selbstverständlich, dass ich meinen Programmpunkte-nach-Corona-aufholen-Tag mit ihm auf zwei Couchsesseln fläzend ausklingend lassen würde.
Auch Robert ist jemand, den ich über 40 Jahre kenne. Wir sind fast gleich alt, beides Rosenmontagskinder, beides Südhessen. Daher haben wir immer Chancen, dass unser Humor kompatibel ist.
Wir verplauderten die anderthalb Stunden in netter Kulisse auf der großen Bühne mit Schwänken aus unserer Vergangenheit, schönen Geschichten über Filmprojekte, in die Robert Einblick hat, und Informationen über die Raumfahrt aus Darmstadt, deren inoffizieller Botschafter Robert ist.
Aber natürlich ging es auch um FOLLOW, Deutschlands ältesten Fantasy-Verein, in dem wir zwei uns eigentlich kennengelernt haben. Wir erinnerten uns an wichtige und unwichtige Personen unserer Geschichte – von Stefan Somogyfoki, der schon ab 1980 mit dem ersten deutschen Fan-Fantasy-Film begann („The Eternal War“) über Fantasy-Ausnahmetalent Hubert Straßl und einen nächtlichen Besuch bei ihm bis hin zu Roberts Kontakten zu „Stargate“-Mitwirkenden.
Auch in „Iron Sky“ ist Robert zu sehen – und die Geschichte, wie es zu dem Cameo kam, ist eigentlich schon eine eigene Abendshow wert. Nicht unerwähnt bleiben darf die Geschichte um die dänischen Untertitel bei „Angriff der Killertomaten“. Aber die gehört nicht hierher, dann hätte man schon dabei sein müssen.
Es war ein wundervoller Tag. Ich fuhr am nächsten Tag direkt heim, damit keiner sah, wie ich nach dem Einsatz aussah. Aber es war es wert. Jede Sekunde.