Inklings – Jahrbuch für Literatur und Ästhetik 29
Dieter Petzold (Hrsg.) INKLINGS – JAHRBUCH FÜR LITERATUR UND ÄSTHETIK 29 Peter Lang – Internationaler Verlag der Wissenschaften Titelbild: N. N. (Arthur Conan Doyle nach einer zeitgenössischen Lexikonillustration), 396 Seiten
Es ist schon interessant, wenn man im Rahmen der »Internationale Tagung am 20. und 21. Mai in Leipzig« ein Thema wie »Der andere Conan Doyle« bearbeitet. Leider gelingt es den deutschen »Inklings« nicht, dieses interessante Thema konsequent interessant zu bearbeiten. Der erste Beitrag stammt von Elmar Schenkel. Sein »Quallen in der Troposphäre« beschäftigt sich mit Doyles »The Horror of the Heights«. Eine sehr gute Einführung in die Ängste vor dem Luftraum zur Zeit Doyles mit einem umfassenden Literaturverzeichnis. Es folgt Jana Nittel mit »A lasting legacy«, der Untertitel »An Ecocritical Reading of Arthur Conan Doyle’s ›When the World Screamed‹« klingt gut und der Beitrag ist auch gut – erfüllt aber das Versprechen des Untertitels nicht wirklich (und die Verweise auf ICE AGE beweisen zwar, dass man aktuelle Filme kennt, aber sonst nichts). Joanna Kokot versucht sich in »Manipulating the Reader« an »The Strategies of Telling the Story in The Lost World by Arthur Conan Doyle«. Wenn man als Autorin im letzten Absatz unter anderem folgendermaßen zusammenfasst, fragt sich der Leser schon, was das jetzt eigentlich war: »We may speak here about ›the romance of sciences‹, when a scientific expedition appears to be fascinating even to someone who (…) is no scientist at all.«1 Aha. Stefan Lampadius und sein »Evolutionary ideas in Arthur Conan Doyle’s The Lost World« stellt Doyle interessant in den Kontext der Evolutionstheorien seiner Zeit und überrascht durch eine gut lesbare, fast schon unterhaltsam zu nennende Darstellung. Catriona McAra »Of paper cut-outs and other worlds« beschäftigt sich mit dem Skandal um die angeblichen Elfenfotos (»The Cottingley
hoax«), von deren Echtheit zeit seines Lebens Doyle überzeugt war. Sehr hübsch, besonders die sorgfältig ausgewählten Illustrationen machen den Beitrag unterhaltsam. Kati Voigt hat leider wenig Ahnung von Sherlock Holmes, daher ist ihr Beitrag »A mathematician in the fourth dimension« über »Professor Moriarty Travels Through Time« eher langweilig, wenn nicht sogar störend, wenn sie z. B. auf ein Treffen zwischen Arthur Conan Doyle und Professor Moriarty hinweist.2 Dieser »lustige« Hinweis klappt aber nur, wenn man die Leser darüber informiert, dass eine breite Bewegung der Holmes-Fans mit einem leichten Lächeln in den Augenwinkeln diesen für eine historische Person hält und Doyle für Watsons Literaturagenten. Leider versäumt Voigt diesen Hinweis. Stefan Welz wird historisch und schildert in »Brüder in Geist und Tat« »A. C. Doyle, R. Kipling, R. Haggard und der Burenkrieg« – so der Untertitel. Historisch interessant mit vielen Einblicken in die Weltsicht Doyles. In dieselbe Kerbe haut Till Kinzel mit »Confronting barbarism and religion in The Tragedy of the Korosko and The river war«. Der Beitrag ist unterhaltsam, doch fällt er gegenüber Welz’ Beitrag massiv ab. Maria Fleischhack berichtet in »Undershaw« über die Bemühungen, Doyles langjährigen Landsitz zu erhalten. Was »Ein Ritter auf der Suche nach sich selbst« (so der Untertitel zu Karl Hepfers »Sir Gawain and the Green Knight«) in diesem Themenband zu suchen hat, ist mir unklar – aber der Obertitel über die folgenden vier Beiträge ist »Varia«, und das kann bekanntlich alles sein. Aber man kann sich vom Thema des Bandes (ob jetzt Doyle oder die »Inklings«) noch weiter entfernen … wie Rudolf Drux mit »Zwischen Werkstatt und Labor« und dem tollen Untertitel »Zur poetologischen Paradigmatik des Menschenbildners Prometheus in der Goethezeit « beweist. Während der vorherige Artikel wenigstens noch lesbar, eigentlich unterhaltsam war, ist Drux nur verquast langweilig. Danach nähert man sich zwar nicht mehr Doyle, aber den »Inklings «. Adam Barkman spricht in »Do doubt they are substantially right« über das Verhältnis von C. S. Lewis zu den Calvinisten. Ausatmen. Einatmen. Jetzt wird es schlimm. Christian Schneider versucht sich in »Disreputable heroes« an einer »A Re-examination of Robert E. Howard and His [sic] Literature«. Abgesehen von gestelzt klingenden Sätzen, die den deutschen Muttersprachler verraten (Satz 1: »Throughout much of the 20th century, fantasy literature experien-
ced a hard time gaining acceptance as a serious field of literary study. «3) ist es seine absolute NULL vorhandene Sachkenntnis, die diesen Artikel zerstört. Er spricht von einem »lack of academic studies on Robert E. Howard and his work, especially in the German-speaking world«, hat aber zum Beispiel THE SPELL OF CONAN und THE BLADE OF CONAN (beide von L. Sprague de Camp herausgegeben) übersehen, in denen 1979 und 1980 dieses Thema für die englischsprachige Welt eigentlich abgehandelt worden ist.4 Deutschsprachige Beiträge hat er einfach nicht wahrgenommen – wie die frühen Artikel in alten FANTASIAS5 oder MAGIRAS6; verweisen könnte man auch auf Christian Endres7 und Rolf Giesen8. Nein, eigentlich hat er nicht recherchiert, denn er schreibt: »While German academics have left Howard’s fiction virtually untouched since the appearance of [Alpers] ›Loincloth, Double Ax, and Magic‹ in the 1970s (…).«9 Weiter geht es mit wunderbaren Aussagen wie »In recent years, the gaming industry has also shown strong interest in Howard’s most famous character.«10 Dem muss widersprochen werden. Der Rollenspielgigant TSR veröffentlichte ab 1984 Material zu Conan, das hauseigene CONAN, THE ROLE PLAYING GAME folgte 1985. Das Interesse flachte nie ab, so erschien ein Hintergrundband zu CONAN zum Rollenspiel GURPS von SJG 1989.11 Scheinbar darf man, um in so ein Jahrbuch zu kommen, auch mal was schreiben, ohne wirklich Ahnung zu haben. Wir kommen zu »Resignation oder Widerspruch?« von Juliane Kreppel, der unvermeidlichen Gedichtinterpretation (hier zu Christoph Meckels »Gedicht in Ermangelung eines Besseren«). Ähnlich langweilig ist Dominik Bechers »Edwin Marogans Panoptikum« mit dem beeindruckenden Untertitel »Stimmen aus dem Werk eines Whittrick«. Hatte ich diese blasierte Text- und Gedichtinterpretation schon in der Oberstufe nicht gemocht, wird mir jetzt erneut klar, warum das damals so war. Fünfzehn Artikel gibt es in diesem Jahrbuch – neun zur Tagung, vier Mal »Varia«, ein Mal »The Poet’s Eye« und ein Mal »Favourite Authors«. Von diesen fünfzehn Beiträgen sind neun auf Englisch. Und wenn man dem Verdacht nachgeht, dass es sich hier um gehobene Oberseminarbeiträge handelt, dann erkennt man schnell, dass von den beiragenden Englisch-Schreibern sechs laut ihrer kurzen Beschreibung im
Anhang deutsche Muttersprachler sind (nämlich Nittel, Lampadius, Voigt, Kinzel, Fleischhack und Schneider). Aber natürlich wirkt das in der eigenen Bibliografie viel besser, wenn man mal etwas auf Englisch veröffentlicht hat …selbst wenn dann Stil und Sprache leiden, weil man eben kein Muttersprachler ist, so macht es dieses Jahrbuch zusätzlich für eine breite deutschsprachige Leserschicht uninteressant, die eben nicht fließend Englisch lesen kann, während es gleichzeitig die angestrebte Unverkäuflichkeit erhöht. Wer meint, wir hätten das Schlimmste hinter uns, sieht sich getäuscht. Es folgen noch die Besprechungen »Zu Fantasy Fiction [sic] und verwandten Gattungen«12. Die Auswahl der Werke ist oft nicht nachvollziehbar, aber das ist bei Besprechungen öfters so. Unverständlich, nein, widerwärtig erscheint mir Elmar Schenkels Loblied auf die Anthroposophie und Rudolf Steiner in seiner 4-Bücher-Besprechung. 13 Er spricht über die »praktischen Erfolge« der Anthroposophie »in Pädagogik, Heilpädagogik, Landwirtschaft und Medizin«14 und faselt abschließend in seiner Besprechung über Rudolf Steiner folgendermaßen: »Wir sollten uns weiter mit dieser Ikone des 20. Jahrhunderts beschäftigen und nicht nur aus historischen Gründen. Die Turbulenzen des 21. Jahrhunderts finden möglicherweise Erklärung in seinen Werken.«15 Leider trifft das für die Schenkelschen Turbulenzen nicht zu, diese bleiben mir unerklärlich. Rudolf Steiner kann man nur mit Zitaten erklären. So heißt es in UNSERE ATLANTISCHEN VORFAHREN von Dr. Rudolf Steiner16: »Die Vorfahren der Atlantier wohnten auf einem verschwundenen Landesteil, dessen Hauptgebiet südlich vom heutigen Asien lag. Man nennt sie in theosophischen Schriften die Lemurier.«17 Weiter: »Lemurier, Atlanter und Arier sind, nach der Benennung der Geheimwissenschaft, Wurzelrassen der Menschheit.«18 Die »Kulturmenschheit « der Gegenwart bilden die »sogenannten Arier«.19 Diese Arier haben »die vollständige Ausprägung der denkenden Kraft mit allem, was dazu gehört, zur Aufgabe«.20 Turbulenzen, wo man hinschaut. Natürlich kann man mir vorwerfen, ich würde das alles nur schreiben, weil die einzige Erwähnung des von mir mit herausgegebenen Fantasyjahrbuchs ein Nebensatz in den Besprechungen ist: »aber unter strikter Abgrenzung von stärker marktorientierten Organen wie Magi-
ra (…)« (S. 309). Das Jahrbuch MAGIRA spricht für sich selbst, da bin ich ganz entspannt, was Kritik betrifft. Natürlich kann man mir vorwerfen, ich hätte Schenkels paar Seiten überbewertet, den Steiner-Bezug überdehnt und nur aus einem einzigen Steiner-Werk zitiert. Auch hier lehne ich mich brav zurück und harre des Beweises für die praktischen Erfolge der Anthroposophie (und ja, ich arbeite als Pädagoge). Natürlich kann man mir vorwerfen, ich wäre kein Freund der »Inklings « oder hätte keine Ahnung von Conan Doyle. Ich bin seit 29 Jahren bei den »Inklings« Mitglied und habe einen Schrank voll mit Büchern über, von, mit und zu Sherlock Holmes und Arthur Conan Doyle. Aber egal, wie man selbst dazu steht: Dieses INKLINGS-JAHRBUCH ist eine Schande für die deutsche Fantastik, ein pseudo-anglistisches Sammelsurium von zum Teil interessanten Beiträgen, die unattraktiv verpackt, zum Teil lausig recherchiert und vom Fandom so weit entfernt sind (und sein wollen) wie die Andromedagalaxis. Dieser Elfenbeinturm war jahrelang gut dafür, lustige akademische Beiträge zu den »Inklings« und ihrem Umfeld zu veröffentlichen, aber in einer Zeit, in der Fantasy im Mainstream angekommen ist, langt eine Fünfminutenrecherche nicht mehr aus, um einen fundierten Artikel zu schreiben, der sich besser geschrieben und besser recherchiert (und wahrscheinlich auf Deutsch) jede Woche in einem beliebigen Blatt mit einem Kulturteil findet. Und Steiner … ach. Das ist Muff der 20er Jahre, revanchistischer Lemurier-Quatsch mit angeblichen Erfolgen in der Landwirtschaft. Vom Elfenbeinturm hinab in die Ackerfurche mit nur einem Band eines Jahrbuchs – eine reife Leistung, die so schnell keiner nachmachen kann. Oder will.