Hauff - Mutabor

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Schlaraffen hört!
Am 29. Windmond jährte sich der Geburtstag des Ehrenschlaraffen Lichtenstein des hohen Reyches Stutgardia, profan Wilhelm Hauff. Geboren 1802 starb er 1827, nicht einmal 25 Jahre alt.
Ich selbst erinnere mich an Hauff aus der eigenen Kindheit, wo sowohl das mystische Mutabor (aus "Die Geschichte vom Kalif Storch") als auch Reime wie der folgende (aus "Das kalte Herz") eine Rolle gespielt haben:
Schatzhauser im grünen Tannenwald
Bist schon viel hundert Jahre alt,
Dein ist all Land, wo Tannen stehn,
Läßt dich nur Sonntagskindern sehn.
Vielleicht erinnert man sich mit den Vorleseübungen bei Kindern. Bei meiner letzten Lesung gefiel "Die Geschichte vom Kalif Storch" den Kindern so gut, dass ich eigentlich weiterlesen wollte. Doch die folgende "Die Geschichte von dem Gespensterschiff" erinnerte mich schnell daran, dass es nicht nur einen heiteren, leichten Hauff gab, sondern auch einen, der für ein erwachsenes Publikum schrieb. Ich habe diese Geschichte dann beim Vorlesen übersprungen – und mir später seine gesammelten Märchen noch einmal zu Gemüte geführt.
Und es gibt auch einen Hauff als Erfinder des deutschen historischen Romans, als Autoren von "Lichtenstein".
Hauffs Hauptwerk sind seine Märchenalmanache. In eine Rahmenhandlung eingepasst werden Geschichten erzählt, die mehr oder weniger lose am Kontext hängen.
So ist in seinem ersten Märchenalmanach von 1826 die Rahmenhandlung eine Karawane, die durch die Wüste zieht. Die Kaufleute und ein Gast sitzen nachts um das Feuer zusammen und erzählen sich Geschichten. Diese sind unter anderem "Die Geschichte vom Kalif Storch", "Die Geschichte von dem Gespensterschiff" und "Die Geschichte von dem kleinen Muck". Es ist erstaunlich, wie viele Gestalten aus diesen Märchen in unsere Märchenkultur übernommen worden sind – der kleine Muck und der Kalif Storch sind aus unseren Kinderzimmern nicht mehr wegzudenken; beide Figuren haben in jeder Darstellungsform einen hohen Wiedererkennungswert. Der Flair aus "1001 Nacht" entstammt diesen orientalisch anmutenden Geschichten, die auch heute noch zu fesseln wissen.
Hauff ist es gelungen, neben der Märchenebene eine zweite Handlungsebene aufzubauen, die das Schicksal der Geschichtenerzähler miteinander verknüpft. So ist es nicht ungewöhnlich, dass sich am Ende einer der Erzähler – natürlich der Gast – mit folgendem Satz auf sein Pferd schwingt: "Man nennt mich den Herrn der Wüste, ich bin der Räuber Orbasan." Und schon ist einer der Erzähler als Teil des Erzählten entlarvt.
1827 folgte Hauffs zweiter Märchenalmanach. In der Rahmenhandlung "Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven" wird jeder freigelassene Sklave aufgefordert, eine Geschichte zu erzählen. So geschieht es. "Der Zwerg Nase" eröffnet den Reigen. Wieder greift die Rahmenhandlung in das Märchen und umgekehrt, und so entpuppt sich nach der letzten Geschichte der erzählende Sklave als der Sohn des gnädigen Scheiks. Dieser Almanach ist der einzige, in dem auch Fremdgeschichten aufgenommen worden sind. Zumindest zwei der Almanach-Geschichten sind in das allgemeine Märchengut aufgenommen worden: "Schneeweißchen und Rosenrot" von Wilhelm Hauff sowie "Der Zwerg Nase". Hauff scheint sich hier eher auf seine Mitarbeiter verlassen zu haben, denn seine eigenen Geschichten haben – bis auf "Der Zwerg Nase" – nicht den Flair der Geschichten des ersten Märchenalmanachs.
Der dritte Märchenalmanach erschien 1828. Hier ist die Rahmenhandlung "Das Wirtshaus im Spessart" – eine Gruppe von Reisenden wird in einem Gasthaus überfallen, verschleppt und kann sich endlich aus eigener Kraft befreien. Natürlich gibt es auch hier überraschende Entdeckungen, und wieder greift die Rahmengeschichte in die Märchen hinein. Hauff beherrscht die Erstellung eines Rahmens sehr gut; nie wirken die Verbindungen zwischen Inhalt und Rahmen gekünstelt.
In dieser Sammlung sind es die Rahmengeschichte und "Das kalte Herz", die besonders hervorstechen. Die Rahmenhandlung wirkt hier am reifsten; Hauff hat sich nach dem Märchenalmanach von 1827 wieder auf seine eigenen Fähigkeiten besonnen und alle Beiträge selbst beigesteuert – was die Qualität und den Zusammenhalt des ganzen Werkes verbessert hat.
Einen vierten Märchenalmanach gab es nicht.
Was macht Hauff für mich so faszinierend? Natürlich ist es auch die Rückerinnerung an meine eigene Kindheit; die Erinnerung an Märchenplatten und die Stimme meiner Mutter, die meinem Bruder und mir immer wieder Märchen vorlas. Es ist ein Wiedererkennen von Figuren, ein Wiedererleben von Bekanntem aber auch ein Wiedersehen mit Orten, die man früher geliebt hat (so das Haus, in dem der kleine Muck Kochen lernt oder das Wirtshaus im Spessart).
Sicherlich ist es auch Hauffs Sprachgewalt, die es immer wieder schön macht, ihn zu lesen. Mit "Lichtenstein" hat er den historischen Roman mit Deutschland geholt, mit seinen Märchenalmanachen das Kunstmärchen gefördert – aber er ist auch (trotz manch schwülstiger Formulierungen) ein faszinierender Erzähler.
Und dann sind da noch Hauffs Helden. Es geht ihm immer um Verwandlung. Der Charakter, der Hauffs Märchenalmanach betritt – ob als Teil der Rahmenhandlung oder Held einer Geschichte – verlässt die Geschichte anders, als er sie betreten hat. Mutabor heißt das Zauberwort – die Verwandlung ist das prägende Element dieser Geschichten. Das Erzählen hat nicht nur einen Unterhaltungswert, sondern es verändert das Leben der Personen der Rahmengeschichte, die formal nicht Teil der Märchenhandlung sind. Mehr kann man von einer Geschichte nicht verlangen.
Lulu!