Roger & ich

Aus hermannritter.de
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Gefühlt trat in meiner Jugend Roger Whittaker in jeder Fernsehshow mindestens einmal auf. Wikipedia gibt mir da Recht:
Er war Gast in zahlreichen Musiksendungen im Fernsehen, darunter in der ZDF-Hitparade.[1]
Eine schöne Stimme, dazu konnte er noch überzeugend gut pfeifen und sogar Gitarre spielen. Die Deutschen hatten in meiner Jugendzeit einen Hang zu Menschen, die Deutsch mit Akzent sangen oder damit Fernsehshows moderierten (keine Angst, hier folgt jetzt keine Liste). Ob das der Wunsch nach der großen Weite war, der Versuch einer inneren Entfremdung vom schneidenden Ton der Rundfunkmoderatoren des III. Reichs oder einfach nur der musikalische Standortvorteil der Import-Sangesware? Ich weiß es nicht.
Roger Whittaker konnte man nicht hören, wenn man nicht eine Beleg-Großmutter dabei hatte. Kein Mensch, den ich kenne, hört im Auto oder daheim Roger Whittaker (zumindest nicht, soweit ich weiß). Ich dürfte die einzige Ausnahme sein.
Vor vielen Jahren war ich auf einem Korsaren-Con eingeladen. Für mich angenehm war nicht nur der geplante Rahmen, sondern auch die räumliche Nähe zu meinem Bruder, den ich so auf dem Weg besuchen konnte. Es herrschte Zwang zur Vollgewandung und jeder sollte sich eine nette Geschichte überlegen, mit der er sich vorstellte und einbrachte. Ich konnte ja nicht am Freitag anreisen und kam daher Samstagmorgen. Alle anderen waren schon "in game" und hatten sich vorgestellt.
Ich selbst trug Magierklamotten, einen Korb mit Essen und Trinken (sogar schön mit einem irdenen Krug und einem dazu passenden Becher) in der linken Hand und einen hölzernen Wanderstab in der rechten Hand. So betrat ich das Gelände, wo die gesammelten Gäste alle schon erwartungsvoll saßen. Sofort fielen die Blicke auf mein ungewöhnliches Accessoire: ich hatte mir Elbenohren aufgesetzt. In üblichem Magira-Marktsprech begrüßte man mich a la "Wohlan Fremder, nehmet Platz. Was führet euch zu dieser abgelegen liegenden Veste?"
"Seied gegrüßt", entgegnete ich redegewandt im Pseudo-Clanthonisch. "Ich bin ein wandernder Barde. Man nennt mich Elvish Presley."
Die Hälfte des Publikums brach bei dem Elvis-Elfen-Witz schon lachend zusammen. Mein mutiges Gegenüber hielt aber durch. "Könnet ihr etwas von eurer Kunst zum Besten geben?"
"Aber natürlich." Ich stand auf und sang "The last farewell" von Roger Whittaker.[2] Man muss den Text nur minimal bearbeiten, und schon ist er ein schönes Piratenlied für jede Fantasywelt.[3]
Nachher – im "Off"-Teil – konnte ich auch meine Version der Elvis-Roger-Geschichte erzählen. Zur Entstehungsgeschichte des Liedes heißt es:
Der Text stammt von Ron A. Webster, einem Silberschmied aus Birmingham. Whittaker hatte im Rahmen einer von ihm moderierten Radiosendung das Publikum um die Einsendung selbstverfasster Gedichte gebeten, worauf er von den über eine Million Texten ein halbes Jahr lange jede Woche eines vertonte und spielte.[4]
Die Geschichte, die ich kenne, geht aber weiter. Angeblich hat Elvis abends im "Graceland" die Show geschaut. Das Lied gefiel ihm, er wollte es in sein Portfolio aufnehmen. Also besorgte er sich am nächsten Morgen über sein Management und Rogers Management die Nummer von Roger Whittaker.
Angeblich lief das Telefonat so ab:
"Roger Whittaker hier."
"Guten Tag Herr Whittaker. Hier spricht Elvis Presley …"
Klick
Elvis soll es noch mehrmals versucht haben, aber Roger legte immer auf. Am nächsten Tag versuchte er es über sein Management. Ein völlig aufgelöster Roger Whittaker rief zurück – er habe einfach nicht glauben können, dass Elvis Presley ihn anruft, und daher immer aufgelegt.
Wie auch immer. Elvis nahm das Lied in sein Programm auf.[5] Und ich singe es immer noch auf Cons, gerne nachts am Lagerfeuer, bis die Tränen kommen.

Roger Whittaker ist am 13.09.2023 verstorben. Komisch, dass mich das dazu bringt, einen Nachruf verfassen. Aber die Wege des Weltenschöpfers sind unerklärlich.
  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Roger_Whittaker; 20.09.2023
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/The_Last_Farewell; 20.09.2023
  3. Ich ersetzte nur "England" durch "Albyon" bzw. "Clanthon", einmal "english" durch "well known" und "guns" durch "spells".
  4. ebenda
  5. Wer mir nicht glaubt: https://www.youtube.com/watch?v=P0cYlsG4cpI; 20.09.2023