Neujahr
Schlaraffen hört
Das neue Jahr hat angefangen, und ich habe ihm überhaupt nichts getan. Mit einem schrecklichen Getöse, verbunden mit einem Glockengeläut, welches an das jüngste Gericht gemahnte, begann es. Aus meinem Schlaf aufgeschreckt, eilte ich nach einer hektischen Einkleidung hinaus, um zu schauen, was passiert war.
Erst wurde ich von angetrunkenen, offensichtlich russischstämmigen Jugendlichen bedrängt, die unter Umgehung jeder Sicherheitsvorschrift Schwarzpulver-getriebene Objekte warfen, schossen oder einfach niederlegten, um sie dann vor Ort explodieren zu lassen.
Innerhalb weniger Minuten war die Straße völlig verdreckt. Überall lagen die Reste von Feuerwerkskörpern herum, außerdem leere Flaschen mit ehemals alkoholischem Inhalt. Die Bevölkerung war entweder schon so betrunken, dass sie nicht mehr reagierte, und ertrug die Feierlichkeiten im tiefsten Stupor, oder sie beteiligten sich aktiv am Vandalismus.
Es was ein höllisches Tosen und Brausen um mich herum. Mehrmals versuchte ich, die Eingeborenen auf die Unanständigkeit ihres Tuns hinzuweisen. Lachend wurde ich auf jemand namens Silvester hingewiesen und auf das Neue Jahr, das angefangen habe.
Ich kenne nur drei Silvester. Das erste ist ein alternder Action-Star, das zweite eine Cartoon-Katze, das dritte ein mittelalterlicher Papst. Jeder von den Dreien kommt aus unterschiedlichen Gründen für die nächtlichen Ausschreitungen nicht als Organisator in Frage.
Also blieb mir nur, das Neue Jahr zu beschimpfen. Dies erbrachte nur Unverständnis von den um mich herum lungernden Pyromanen.
Bald brachte ich aber in Erfahrung, dass dieses so genannte "Neue Jahr" sich nur durch eine minimal veränderte Nummerierung vom "Alten Jahr" unterschied. Und der Kalender sei daran schuld.
In einem berechtigten Anfall von ludditischem Maschinenstürmen zerschlug ich erst die Uhr beim Juwelier, dieses hässliche Ding an dem langen Metallhaken. Dann riss ich betrunkenen Wolgadeutschen die Armbanduhren vom Arm und trampelte auf ihnen herum – den Uhren, nicht den Betrunkenen. Als nächstes warf ich Steine gegen die Kirchturmuhr, zündete den plakatgroßen Kalender am Kiosk an und sah zu, wie er langsam fröhlich abfackelte, sein schimmerndes Licht auf die Stadt und das tosende, tobende Neue Jahr werfend.
Ich begann letztendlich, mir mit Gewalt Mobiltelefone zu verschaffen, damit ich deren Zeitanzeige und jubilierende Hinweise auf das Neue Jahr vernichten konnte. Ich habe 17 Stück geschafft, bevor ich von der Polizei aufgegriffen wurde.
Und ich kann es nur immer wieder sagen, was ich auch in dieser Nacht den Polizisten und dem Arzt erzählt habe. Das Neue Jahr hat angefangen, und ich habe ihm überhaupt nichts getan.
Lulu!