Über Ronald M. Hahn

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Nach Jahren, in denen die Ronald M. Hahn-Forschung zugunsten grünerer Wiesen wie der phantastischen slowakischen Exil-Literatur oder Inuit-Cyberpunk-Prosa vernachlässigt worden ist, steht der "Altmeister der deutschen Science Fiction", "he who shall not be tamed", der "junge Laßwitz" oder einfach nur "ER" wieder im Mittelpunkt des Interesses von Science Fictions-Fans wie auch den Literaturkritikern.
"Der große Ronaldo", wie ihn seine Freunde nennen dürfen, hat in den mehr als sieben Jahrzehnten seiner Karriere als Autor, Übersetzer, Herausgeber und Drag Queen viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen dürfen. Ich wil. im Foglenden versuchen, die Ergebnisse der historisch-kritischen Ronald M. Hahn-Forschung ein wenig zusammenzufassen. Natürlich ist es mir nicht möglich, sein Lebenswerk abzubilden - genauso könnte man mich bitten, die ägyptischen Dynastien nur mit einer Hand zu erklären oder eine Deutung der Bedetung des deutschen Fandoms für den Weltfrieden vorzunehmen.

Parallele Hähne
RMH hat sich früh um die Alternativwelt verdient gemacht. ich weiß nicht, woran es liegt, dass ihn dieses Thema besonders reizt. Schon die mit mit Thomas Ziegler verfasste "Alternativwelt 1818" (erschienen 1978) zeugt von seinem großen Können in diesem Bereich. Der Bogen spannt sich über mehr als zwanzig Jahre; 2001 erschien mit "An der Brücke zu den Sternen" der zwölfte Band der Serie T.N.T. Smith - auch eine Alternativwelt. Und zwar eine erster Sahne.
Seine Alternativwelten sind nicht nur Skelett, sie haben Muskeln und Fleisch (und - hey - was für ein Fleisch!). Während andere Autoren in der Handlung kleine "puns" unterbringen, um die Herkunft ihrer Alternativwelt zu erklären ("Der junge Wiener Hobby-Maler nahm das üppige Trinkgeld und hüpfte freudig erregt davon, um sich an der Kunstschule einzukaufen." oder "Ruhig schaute Jesus in die Runde. Dann deutete er auf Judas. »Der da will mich verraten!« Petrus zog sein Schwert und erstach den Verräter. Jesus erzählte diees Geschichte immer wieder gerne, zuletzt auf seinem 90. Geburtstag in Athen.") erzählt RMH einfach vor sich hin. Und erzählt und erzählt und erzählt. Gute Geschichten. Mehr will man doch auch nicht, oder?

Roland, der treue Paladin des aussterbenden Humors
RMH ist ein großer Autor. Nicht körperlich, aber von seiner Wortgewalt und seinem Wortwitz. Hey, bei "Abenteuer im Überbau" (1981) habe ich heulend in einem Keller gesessen, als un ein freundlicher älterer Fan diese "Perle der Phantastik" nach einer längeren Rollenspiel-Session vorlas.
Heulend.
Die Witze, die Anspielungen, der Stil - großartig. Es hat mir die 70er im Fandom erklärt und die 80er möglich gemacht. Er stand in der Tradtion der SF-Fans der 30er-Jahre, die sich einen Propeller (englisch: "fan") auf den Kopf gesetzt haben, um zu zeigen, dass sie Fans sind. Selbst-Ironie, ein schalkhaftes Lachen, der Willen, andere durch den Kakao zu ziehen - und auch selbst in den Kakao zu steigen, wenn es ein guter Witz ist.
Ob man RMHs Humor drei Jahrzehnte lang bis zu "Captain Enfick" (2011) verstehen muss, mag man genauso diskutieren wie die Frage, ob RMH zwischen Goethe und Schiller, zwischen Paul Busson udn Gustav Meyrink steht oder zwischen Iny Lorentz und Wolfgang Hohlbein. Unstrittig ist aber, dass alleine schon Titel wie "Drei Menschen im Schnee" oder "Licht aus! Spot an!" beweisen, wie großartig RMH kulturelle Trends verarbeiten kann. Seine Liebe zu Donald Duck (ich verweise auf das mit Uwe Anton verfasste "Donald Duck - ein Leben in Entenhausen") ist genauo Teil seiner Verwurzelung im Mainstream wie Indiz dafür, dass dieser Mann über sich selbst lachen kann.
Siehe oben.
Und er war immer genug selbst Science Fiction-Fan, um seinen Heroen mit kleinen oder größeren Seitenhieben zu huldigen. Das wundervolle Pseudonym Isaak Asimuff für "Die Roboter und wir" (1987) und großartige Gechichten aus diesem Band wie "Die Heldentaten des Muffi Asimuff" oder "Roboter im Warnsteik" - hey, das ist großes Kino! Er schreibt Pastiches, er schreibt Hommagen - Jack London, Ernst Busch, Isaac Asimov und viele, viele ander sind seine Helden und Idole, und sie kriegen ihren Platz im Hahnschen Komos (ohh, sorry, wir hatten die Wiedervereinigung: also Hahn'schen Kosmo's), um dort fröhliche Urstände zu feiern.

Der rote Hahn
Es war RMH, der mich in den 80er Jahren davor bewahrte, heute in einer durch SGB II finanzierten Wohnung zu sitzen - zusammen mit 3.000 Fanzines, einer kompletten Sammlung von "The Spider - Master of Men", "G-8" und "Shazam", aber dafür ohne soziale Kontakte und Job.
Ich war damals ein junger Fan mit einer verkauften Geschichte, Ambitionen und dem Glauben, dass die eigene Schreibe irgendwo zwischen Stanley G. Weinbaum und Cordwainer Smith läge. Ein Autor, auf den die Welt gewartet hatte. Nur nicht RMH.
Jener wieder war damals schon eine Ikone (keine Stil-Ikone) der deutschen Science Fiction, die nun weiß Gott arm an amüssanten Geistern ist (und durch das Wegsterben aller anderen mit diesen Gaben immer mehr um ihn und einige wenige andere zentriert ist). Ein großer Geist. ER.
Es war bei einem Bier auf einem ColoniaCon, wenn ich mich recht entsinne, wo er mich zur Brust nahm. Er erkärte mit in ruhigen Worten einige Tipps und Tricks für junge Autoren - und fragte mich, ob ich mir enrsthaft vorstellen könne, das beruflich zu machen.
Wir kamen ins Reden. Ich weiß nicht mehr, wie lange die Unterhaltung gedauert hat. Lange genug, um mir einige Dinge klar zu machen.
Erstens: Er lebte nicht in einem Elfenbeinturm. Man konnte meinen SF-Heroen anfassen, er trank Bier, redete sinnvoll (was bei Science Fiction-Autoren nicht immer ein Alleinstellungsmerkmal ist) und hörte einem jungen Fan zu.
Zweitens: Es gab Dinge da draußen, die schlimmer waren als die Monster aus den Horrorschinken, die ich las. Cthulhu verblasste neben der Frage, was manche Verlage mit Autoren zu tun schienen - die Verlage erkannten nämlich meine literarische Größe vielleicht überhaupt nicht. Nur weil meine Freundin meine Gedichte liebte, war ich nicht Heine², nur weil ich Cordwainer Smith las, konnte ich nicht schreiben wie Cordwainer Smith. Und nur weil ich wusste, wie Herausgeber aussehen, hatte ich noch lange keine Arbeitsbeziehung mit ihnen (überhaupt keine Beziehung, was an dieser Stelle erwähnt werden darf).
Drittens: Mir wurde später klar, dass man ein Hobby verliert, wenn man sein Hobby zum Beruf macht - und kein gleichwertiges Hobby als Austausch dafür erhält. Es war dieses Gespräch am Tresen von Folkwang (oder wie immer dieser mystische Ort geheißen haben haben mag, wo wir zwei zeitlos schwebten und ein Gehirn-Gehirn-Gespräch führten), das mein Leben verändert hat. Und egal, wie großartig RMH ist (oder nicht ist) - für "Abenteuer im Überbau" und dieses Gespräch hat er meine Hochachtung verdient. Bis die Sonne erkaltet.