Auf den Trümmern des Paradieses
Schlaraffen hört!
Meine Versuche, aus dem Reych der Schlaraffen in Bielefeld unter Berufung auf Murnau ein cineastisches Reych zu machen, können als gescheitert angesehen werden. Trotzdem möchte ich heute dringend auf ein Jubiläum hinweisen, das wohl leider an den meisten Ansassen vorbeigegangen ist.
Heute, vor genau hundert Jahren, war die Uraufführung des ersten Karl May-Films. Von meiner Generation, die mit Pierre Brice als Winnetou, den Schluchten des Balkan und der entsprechenden Filmmusik aufgewachsen ist, sollte dieser Tag eigentlich mit frenetischen Feiern und langanhaltendem Jubel gefeiert werden. Leider ist Martin Hermann Böttcher (was für ein wunderschöner zweiter Vorname), der Komponist der Musik zu den Karl Mary-Filmen der 60er, letztes Jahr verstorben, aber das muss bacchantische Feierlichkeiten in keinster Weise aufhalten. Trotzdem finden sie nicht statt, was mein Herz mit galliger Trauer füllt.
Natürlich habe ich selbst auch versucht, Karl May zu lesen. Aber ich gebe zu, dass die Filme mich mehr begeistert haben als die Bücher. Das mag an Mays verquastem Stil liegen, aber sicherlich auch am Lesealter – und daran, dass mein Vater kein Fan dieser Romane war, was wiederum dazu führte, dass die entsprechenden May-Mögen-Erbanlagen nicht weitergegeben wurden. Wie wir alle wissen, werden Erbanlagen auch mental geprägt, durch das Leserverhalten in der Pubertät werden die Chromosomen geändert. Das ist wissenschaftlich völliger Blödsinn, aber da meine Krankenkasse seit acht Wochen auch offiziell Homöopathie unterstützt, bewege ich mich da völlig in Bereich der Mehrheitsmeinung, wenn ich solche verquasten Theorien von mir gebe.
Zurück zum Jubiläum. Der Regisseur des Films, Josef Stein (Josef wahlweise mit "f" oder "ph", je nachdem welcher Quelle man folgt), wurde in Wien geboren und starb in Prag, wohin er 1933 als Jude vor den Nationalsozialisten floh. Stein starb 1937 in Prag mit 61 Jahren, seine Todesursache ist unbekannt. Die Zeitläufe lassen darauf schließen, dass es vielleicht kein natürlicher Tod war.
Steins Leben fand in einem geographischen, geopolitischen und künstlerischem Umfeld statt, das einen Kontakt zu Schlaraffia möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich macht, aber die Faktenlage lässt hier keine Schlüsse zu. Interessant ist, dass Steiner auch an zwei phantastischen Filmen mitwirkte: an einer "Golem"-Neuverfilmung (hier kann man wieder erwähnen, dass Gustav Meyrink nirgendwo Ehrenschlaraffe ist – Schande! Schande! Schande!), dazu an einer als "Sensationsfilm" bezeichneten, sechsteiligen "Homunculus"-Bearbeitung.
Achja, der Film. Es war "Auf den Trümmern des Paradieses", ein Stummfilm. Uraufführung am 07.10.1920 in Dresden, in der Gegenwart von Karl Mays Witwe Klara. Der Film gilt heute als verschollen.
War Stein Schlaraffe? Wie ist er gestorben? Was wurde aus den Kopien von "Auf den Trümmern des Paradieses"?
Die erinnerte Welt, die historische Welt ist ein Jammertal. Wir vergessen unsere eigene Geschichte schon, wenn sie nur hundert Jahre alt ist, speichern aber durchschnittlich eine Millionen Katzenfotos auf dem Mobiltelefon und erhalten mehrmals am Tag Details von Mitmenschen, die diese weitflächig einer Unzahl prinzipiell uninteressierter Zeitgenossen mitteilen.
Da bleibt der Filmtitel heute so passend wie vor 100 Jahren: Auf den Trümmern des Paradieses.
Lulu!