Die Saat des Bösen
Roman für drei Pfeifen: "Die Saat des Bösen"
Roger Constantin
"Die Saat des Bösen"
Zwielichtzone Reich, Band 1
Titelbild von "Nick (Russia)"
Redaktion: Lanz Martell
191 Seiten
HJB Verlag KG (Unitall)
Ich liebe Parallelweltromane. So ist es nicht verwunderlich, dass dieser Roman in meinem Briefkasten gelandet ist.
Die Welt ist eine andere. Der Hitler-Putsch 1923 gelingt, aber der Ausbruch der
"Neopest" führt zur Dezimierung der deutschen Bevölkerung, die daraufhin in eine Vor-Bismarck-Ära zurückzufallen scheint. Nicht ganz – es gibt zwar wieder kleine Herrschaftsgebiete, die wegen der Angst vor der Übertragung der Krankheit dafür sorgen, dass sie voneinander abgeschottet sind, aber es gibt auch eine Rote Regierung im Ruhrgebiet, eine amerikanische Besatzungszone (die es gleich zum amerikanischen Bundesstaat geschafft hat) und diverse Geheimorganisationen, von denen eine – die "Werwölfe" – sich um den verschwundenen Adolf Hitler gruppiert hat.
1930 wird ein Privatdetektiv namens Harry Ullstein (der mit dem Verlagshaus
nicht verwandt ist, wie er immer betonen muss) vom bekannten Okkultisten Hanussen
engagiert, um seine Tochter aufzutreiben. Es beginnt eine nette Verfolgungsjagd
durch Deutschland, die sowohl unterhaltsame Szenen, viel Lokalkolorit (wie die
Zeppeline, weil den Deutschen Flugzeuge verboten sind) als auch einige nette
Flirtzszenen bietet (wobei man mehrfach den Eindruck hat, als hätte der Lektor
zugeschlagen und Szenen gestrichen, da sich einige Übergange so lesen, als würde
hier eine Sexszene fehlen). Der Roman endet mit einem Cliffhanger – was für eine
Serie wie die neue "Zwielichtzone Reich" verständlich ist.
Der Ton ist unterhaltsam, manchmal flapsig – "Die Justiz hatte die einstweilige
Erschießung aus Angst vor Anschlägen geheim gehalten." (S. 86) Leider hat der
Lektor manchmal geschlampt, so dass natürlich grammatikalische Verweise wie
dieser – "Du kannst nicht nur ‘nen Punkt von ‘nem Komma unterscheiden; du weißt
auch, welchen Zweck Bindestriche erfüllen…" (S. 104) – ein wenig daran scheitern, dass meiner Ansicht nach vor den drei Punkten ein Leerzeichen fehlt. Pillepalle.
Historisch ist der Roman gut recherchiert, zum zeitlichen Kolorit gehören unter
anderem die Erwähnung von Arthur Conan Doyle und der Genosse Wehner. Die an den
Anfängen der Kapitel stehenden Kommentare (unter anderem von Groucho Marx und
Woody Allen) passen nicht alle in die Zeit, aber stilistisch passen sie in den Kontext.
Ja, der Kontext. Roger Constantin ist meiner Ansicht nach Ronald M. Hahn. Nicht
nur, dass er in diesem Thema erfahren ist und einen guten Pulp-Roman zu schnitzen
vermag (ich verweise auf die Serie "T.N.T. Smith" . Nicht nur, weil der Titel des Buchs einer Kurzgeschichte von Ernst Vlcek entlehnt ist ("Die Saat des Bösen" in
"Schwerter, Schemen und Schamanen", herausgegeben von Hugh Walker alias Hubert Strassl). Auch die Hahn-Themen der letzten Jahre – Seitenhiebe gegen den Islam
und die Sozialdemokratie – fehlen nicht ("Du weißt ja, woher die Kommunisten-,
Sozialdemokratisten- und Gewerkschaftsfürher mehrheitlich kommen: Aus bürgerlichen
Elternhäusern. Und du weißt auch, dass sie durch die Bank Schulversager und
Studienabbrecher sind." [S. 101]).
Der Schreibstil ist Hahn. Da kann ich als Hahn-Leser nur einen Haken dranmachen.
Wer noch nicht überzeugt ist – da sind die vielen Science Fiction-Anspielungen
(von denen ich sicher nur einen Teil entdeckt habe und nicht alle erwähne, die
ich gefunden habe). Da sind der Luxemburger Hugo Gernsbacher mit seiner geplanten
Romanreihe "Erstaunliche Geschichten" (die wohl in den USA als "Amazing Stories"
erschienen wäre …), Max Schreck und "Nosferatu", Hanns "Hannes" (Heinz) Ewers
sowie Thea von Harbou. Der Autor erfindet die "berühmten Groschenhefte" um den
Kosmonauten "Kapitän Uljanow" (S. 119) und erwähnt "Der Luftpirat und sein
lenkbares Luftschiff".
Mich hätte es nicht gestört, wenn Ronald M. Hahn dringestanden hätte (das Cover
und der Buchrücken vermerken sowieso keinen Autoren). Und die Wahrscheinlichkeit,
dass der Name da eigentlich hingehört, beträgt meiner Ansicht nach 99 %.
Der Roman? "A good yarn", eine nette Geschichte, die man (so wie ich) bequem
bei drei Pfeifen lesen kann und dann amüsiert ins Regal stellt.