Die Ufer der Wirklichkeit
HUGH WALKER
DIE UFER DER WIRKLICHKEIT
MAGIRA 4 Titelbild: Michael Whelan, Karte: Helmut W. Pesch (nicht angegeben)
Bastei Lübbe, 2006, 349 Seiten
Diverse Inkarnationen hat die MAGIRA-Serie schon hinter sich. Dies ist der letzte Roman der vierbändigen Saga, die jetzt – nach mindestens vier Anläufen – erstmalig vorliegt. Hugh Walker (alias Hubert Straßl) dem deutschsprachigen Lesepublikum vorstellen zu müssen, hieße Eulen nach Athen tragen. Er ist einer der – wenn nicht der – Wegbereiter für Fantasy in Deutschland; jahrzehntelang war und ist er jetzt als Autor und Übersetzer tätig, aber auch als Herausgeber (unter anderem der ersten Inkarnation des Magazins MAGIRA). Er schrieb für DRAGON und MYTHOR, er schrieb Horror, Fantasy und alles, was ihm unter die Tastatur kam.
Eingeleitet wird der Roman von einer »Synopsis« der Handlung der vorhergehenden
Bände. Es folgen das erste Buch »An den Ufern der Wirklichkeit« (ca. 150 Seiten) und das zweite Buch »Alle Dinge der Fantasie« (ca. 180 Seiten), ein »Personenverzeichnis«, ein Nachwort von Edi Lukschandl »Hier spricht der Wolf« über die Geschichte Magiras und Follows und ein Nachwort von Franz Laudmann.
Ich sage es gleich: Es ist gut und es ist schlecht, dass Walker diesen Roman noch geschrieben hat.
Gut ist es, weil die Reihe um Franz Laudmann, Thuon, Thorich und all die anderen
Helden endlich zu einem Abschluss gekommen ist. In diesem Band geht es mehr und mehr um die Frage, was Realität ist und wie sie den Autor beeinflusst. Es geht aber auch um Schwerter und Magie, um uralte Zauber, um schöne Frauen und um böse Bestien. Es geht um das Imperium des Löwen, das nach der Weltherrschaft greift, es geht um die Spielerrunde, die sich in Wien trifft, um Magira im Ewigen Spiel zu simulieren, es geht um Verbindungen zwischen den Welten und die Grundlage von Magie. »Ewige Freuden des Kampfes auf der einen, Vergessenheit im Totenreich auf der anderen Seite. Wer wollte da nicht mit ganzem Herzen seine Waffe gebrauchen?« (S. 114) Schließlich gelangen die Spieler Magiras auf die Spielwelt Magira, stehen Angesicht zu Angesicht ihren Kreaturen gegenüber (S. 333 f.).
Wie heißt es so richtig im (erfundenen) Nachwort von Franz Laudmann: »Mit Hugh
Walker habe ich eine paradoxe Figur geschaffen.« (S. 348). Eine literarische Figur
schreibt über die Erschaffung ihres Autors.
Schlecht ist es, weil Walker in den Schilderungen von Gewalt und Sexualität in den
70ern stehen geblieben zu sein scheint. Ein paar Beispiele: »Bald waren es nicht nur die Hände, sondern auch die weichen Lippen, die mit lockenden Lauten Berührung suchten, Arme und Schenkel, die uns umschlangen.« (S. 92) »Dabei erfüllte mich ein wenig mit Besorgnis, dass er auch für Mythanen bereits ein ziemlich alter Knacker war, und ich beschloss, meinen Lieblingsmythanen nicht im Stich zu lassen und ihm die erforderliche Potenz anzudichten.« (S. 101)
Manche Wortwahl ist unglücklich: »Wir führen sicher einen Befreiungskrieg.« (S. 119) ist modernes Deutsch, keine Sprache, die ein Feldherr selbst gebrauchen würde.
Doch am schönsten ist folgender Absatz für mich: Zur Erklärung des Konzepts, dass
alle Magiraner Figuren in einem erdachten Abenteuer sind, kommt es zu folgendem Dialog:
Ich schüttelte den Kopf. »Gibt es niemanden auf Magira, der Geschichten erfindet?«
Sie dachten eine Weile nach. Dann sagte der Clanthonier: »Da war ein Narr am Hof
von Tandor, der Geschichten erfand, um sein Leben zu retten und den König zum Lachen zu bringen.«
Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Da ist deine Antwort, Hugh. Fantasy ist
eine Sache der Narren. Aber immerhin – sie erfanden sie für Könige.« (S. 325 f.)
Allein deswegen sollte man das Buch lesen.