Dieter Steinseifer war einer der feinsten Menschen, die ich kannte

Aus hermannritter.de
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Wenn es nach mir ginge, könnte man den Nachruf aus diesem einen Satz bestehen lassen. Aber es wäre schwer, jenen Menschen, die ihn nicht kannten, etwas von dem zu vermitteln, was Dieter für mich – und für mehrere Generationen Fans – war.
Ich glaube nicht, dass wir befreundet waren. Ich kannte seinen Geburtstag nicht, war nie in seiner Wohnung und wusste wenig von dem, was ihn in seiner Seele bewegte. Aber ich kannte den offiziellen Dieter (wenn wir ihn mal so nennen wollen) lange – für mich lange, für andere Altfans sicherlich nicht. 1982 oder 1983 habe ich Dieter kennengelernt. Und ab Tag 1 hat er mich – damals mit Mühe volljährig – wie einen Erwachsenen behandelt. Über viele Jahre hinweg wurde ich von ihm – wie viele andere – immer wieder auf Cons zum Essen eingeladen oder bekam Getränke spendiert, weil ich ja noch Schüler oder Student war. Ich mache das heute immer noch so, mindestens einmal pro Con, und erkläre, dass ich eine Schuld an Dieter zurückzahle … eine Schuld, die ich mit Geld nie begleichen kann, denn in meiner Welt war Dieter einer der wenigen Menschen, der mich als jungen Mann ernst nahm und mich inspirierte, nicht belehrte (ein Effekt, den ich im Fandom überhaupt immer wieder zu spüren bekam; einer jener Gründe für die magnetische Anziehungskraft des Fandoms in den 80er-Jahren für mich).
Dieter war ein Mensch mehrerer Fan-Welten, in denen ich mit ihm Zeit verbringen durfte. Er begeisterte mich für FOLLOW und ich war sehr stolz, als ich Jahrzehnte später als Herold in seine Fußstapfen treten konnte (die sehr groß waren, Dieter war ein Mensch mit einem umfassenden Charisma und einer Gabe, vor Menschen zu sprechen, die sowohl aus seiner Stundenverbindungserfahrung als auch aus seiner hohen Allgemeinbildung gespeist war). In FOLLOW war er als Lord eben der Waran Jand, eine imposante Figur mit einem gut funktionierenden Reich hinter sich, der Kriegsfürst von Ranabar und Herr des geheimen Drachenordens. Als ich vor einigen Jahren seine "Drachenbriefe" auf Contermine hin durchforstete, um sie in die Followpedia einzugehen, konnte ich feststellen, dass er jahrelang eigentlich jedes Wochenende unterwegs war – Cons, Cons, Cons.
Dann war Dieter noch ein begeisterter Spieler. Wir haben viele Wochenenden gemeinsam "Armageddon" gespielt – erst in Marburg, viele Jahre später in Kassel. Dazu kam die Rollenspielkampagne "Abenteuer in Ranabar", der er als Oberspielleiter vorstand. Ich habe die Liste noch … in 17 Jahren hatte ich als Mitspieler "seiner" Kampagne 23 gemeinsame Rollenspielwochenenden. Er war ein gruselig langsamer Taktiker, der alles mitprotokollieren musste – aber dann auch wieder so begeisterungsfähig wie ein Kind, wenn es daran ging, Figuren zu bewegen oder ein Rollenspiel-Rätsel zu lösen.
Außerdem war Dieter ein Filmfan und begeisterter Leser. Ich habe zwar lange nicht verstanden, warum er jahrelang auf Cons immer ein Taschenbuch als Gastgeschenk mitbrachte – vorrangig von deutschen Autoren, besonders gerne von Mielke – aber als er viele Jahre später im Krankenhaus lag, erzählte er danach glaubhaft, dass er das erste Mal in seinem Leben Privatfernsehen gesehen hat und erschreckt sei, was "da draußen" gesendet wird. Seine Insel der Seligen bestand aus nächtlichen Ausstrahlungen von obskuren Filmen und Fernsehserien in dritten Programmen, Videokassetten, Fanzinebergen und deutscher Science Fiction. Wer ihn als Moderator auf einem Con erleben durfte, der konnte sehen, wie eine sympathische, gelehrige und kurzweilige Moderation aussieht. Ich hatte das Glück, ihn viele Male zu erleben (und habe in den letzten Jahren aus dem Archiv des SFCD viele Mitschnitte gehört, bei denen Dieter beteiligt war).
Außerdem zeichnete er in den frühen Jahren gerne Titelbilder für Fanzines, gab ein Egozine ("Flieger") heraus, nahm an mehreren APAs Teil, dafür fand er (als Ingenieur) erstaunlich spät zum Computer, hatte soweit ich weiß kein Mobiltelefon und telefonierte überhaupt sehr ungern, seinen Fanzineversand für den "Drachenbrief" betrieb er jahrzehntelang mit Schablonen für die Adressen, meiner Ansicht nach der nächste, logische technische Schritt nach dem Kartoffeldruck.

Seine Fan-Karriere umspannte fünf Jahrzehnte. Er war unter anderem bei der Gründung von FOLLOW dabei (wenn auch nicht aktiv beteiligt), 1. Vorsitzender des SFCD, Gast auf mehreren Weltcons, immer wieder gerne Besucher der SFCD-Jahreshauptversammlung, charmant, unterhaltsam, zuvorkommend, generös, dabei nicht belehrend und nicht fordernd, wenn es um das Teilen seiner Ansichten oder seine Vereinszugehörigkeiten ging. Ich habe ihn nie herablassend, beleidigend oder auch nur unhöflich erlebt, ein einziges Mal hatten wir Streit und der war bald vergessen.
Der typische Dieter, das war so gegen 20.30 Uhr ein Dieter mit einem Zigarillo im Mundwinkel, einem leichten Lachen um die Mundwinkel und gerne bereit, nach vielen Stunden Zuhörens jetzt selbst etwas zu erzählen. Er erzählte nie herablassend über andere Menschen, sondern seine Geschichten waren oft von einer feinen Ironie geprägte, wahre Begebenheiten.
Ich erinnere mich an viele lustige Geschichten mit Dieter – 1987 ein Eislokal mit zehn Fantasy-Klamotten tragenden Irren rund um Dieter, 1988 das Krokodil-Nackt-Rugby in einem schwedischen Feriendorf (ohne zu spoilern: Die Schweden sind keine Freunde von Krokodil-Nackt-Rugby) und meine Tätigkeit als Dieter-Synchronisator für einen FOLLOW-Film (was er mir nie übel nahm). Ich könnte jetzt seitenlang so weitermachen, aber ich glaube, dass es in Dieters Sinn wäre, wenn man das man in einer Runde macht – am besten in einem Raum mit Holztäfelung, in dem man rauchen und trinken darf. Oder draußen am Lagerfeuer, besser in einer Grillhütte oder einem Zelt. Dann trinken wir jeder ein Glas Cidre, grüßen ranabarisch mit "doro nehuskud glafaton" (wenn ich mich recht erinnere) und rauchen eine.
Ach, Dieter. Legenden ranken sich um seine "Hörzu"-Sammlung (anhand derer er alle in Deutschland ausgestrahlten Science Fiction-Filme auflisten wollte), dazu seine Fanzine-Sammlung, seine Elastolin-Figuren-Sammlung, seine Rollenspiel-Miniaturen-Sammlung und so weiter und so fort. Dieter war kein Sammler im klassischen Sinne, er sammelte Sammlung. Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, dass er alle diese Dinge im Ruhestand ordnen und auswerten wollte. Das Schicksal hat das verhindert. Als ich Dieter das letzte Mal sah (auf einer Burg in Österreich, Sommer 2010) grüßte er mich schon mehrmals täglich, weil er vergessen hatte, dass wir uns gerade eben gesehen und begrüßt hatten. Wenn man den Berichten Glauben schenken darf, wurde daraus eine vollständige Demenz. Der Sammler gefangen in der Sammlung, an die er sich nicht mehr erinnern kann. Ich bin irgendwie sehr dankbar, dass er das nicht mitbekommen hat.

In den letzten Tagen des Jahres 2020, wenn die Zeit am dunkelsten ist, verstarb Dieter Steinseifer im 80. Lebensjahr.
Dieter Steinseifer war einer der feinsten Menschen, die ich kannte.