Inklings-Jahrbuch für Literatur und Ästhetik 30
Dieter Petzold (Hrsg.)
INKLINGS – JAHRBUCH FÜR LITERATUR UND ÄSTHETIK 30
Peter Lang – Internationaler Verlag der Wissenschaften, 2013
Titelbild: »The Modern Guide to Dragon Slaying«, Grafik von Katherina Ryan und Maria Fleischhack
»Willkommen im 21. Jahrhundert!«, so möchte man den deutschen
Inklings fast nach dem aktuellen INKLINGS-JAHRBUCH für 2012 zurufen.
Mit einiger Verspätung sind sie zwar angekommen, aber sie sind es.
Die Beiträge hauen zwar fast alle am Thema der Tagung »The Inheritance
of the Inklings« in Wetzlar vorbei, aber das ist ja egal, wenn
man trotzdem gut unterhalten wird. Eigentlich ist es frech, wenn man in einem Vorwort zu einem Sammelband über Fantasy 2012 noch
Folgendes schreiben kann: »Seit die Inklings-Mitglieder C. S. Lewis und
J. R. R. Tolkien vor rund achtzig Jahren ihre fantastischen Garne zu
spinnen begannen und damit die moderne Fantasy-Literatur begründeten,
hat sich diese neue Gattung nicht nur als fester Bestandteil der
populären Literatur und Kultur unserer Zeit etabliert, sondern sich
auch in ungeahnter Weise ausgebreitet und diversifiziert.« (S. 9) So
was! Vor 80 Jahren (Kopfrechnen: 1932) schufen die beiden also die
Fantasy. Zwar schrieb Lewis erst ab 1949 an NARNIA, Tolkien veröffentlichte
den HOBBIT erst 1936, den HERR DER RINGE erst ab 1954, aber …
ob sie die Fantasy damit begründeten, mag auch dahingestellt bleiben,
aber immerhin ist die Fantasy heute »ausgebreitet und diversifiziert
«. Okay, seit vielleicht 20 Jahren ist das so. Ungefähr. Kopfrechnen,
wir erinnern uns. Aber immerhin: Die Inklings haben es jetzt gemerkt.
Gratulation!
Den Beitragsreigen eröffnen Josef Schreier und Gabriele Heintz mit
einem Beitrag namens »Ist die Wirklichkeit wirklich wirklich?«, einer
»phänomenologische[n] Annäherung« (so der Untertitel) an das Thema.
Lesbar.
Stefanie Giebert schreibt über »Tolkien or (celtic) Twilight?« Immerhin
haben es hier die Rollenspiele in eine Fußnote geschafft und
die Autorin ist in ihrer Literaturliste in der Gegenwart angekommen.
Dazu noch ein gut lesbarer Artikel, Respekt.
Kati Voigt gehört mit »The inheritance of the Mabinogion« zu den
besten Schreibern im ganzen JAHRBUCH. Nach einer Einführung zum
MABINOGION werden über Tolkien und Konsorten die Wirkungen bis
in die Gegenwart untersucht. Okay, gelungen.
Neil Gaiman hat sich Thomas Fornet-Ponse mit »Die Immanenz des
Transzendenten bei Neil Gaiman« angenommen. Der Titel täuscht ein
wenig: Dieser Artikel würde sich auch gut in einer neo-heidnischen
Zeitschrift machen, weil er auf die Veränderungen im Götterbild in
der Fantasy der Gegenwart eingeht. Großartige Lektüre, danke!
Auch Franziska Burstyn beschäftigt sich in »Alice and Mowgli revisited
« mit Gaiman, kann aber gegen Fornet-Ponses großartigen Artikel
nicht ankommen. Aber: lesbar.
Klaudia Seibel nimmt sich Jasper Fforde an und schreibt über »Literatecs,
Nursery Crimes and Dragonslayers«. Ein netter Artikel, der
leider ein wenig wie eine Sammelrezension wirkt. Guter Stil ist anders.
Dieter Petzold hat sich Salman Rushdie und seinen Märchen in
»Fischzüge im Meer der Geschichte« angenommen. Herausgekommen
ist ein sehr schöner, gut zu lesender Artikel.
Natürlich darf auch George R. R. Martin nicht fehlen. Wir erinnern
uns an meine eingangs aufgestellte These: Die INKLINGS sind eigenartigerweise
nach 29 Jahrbüchern im 30. endlich im Hier und Jetzt. Und
jede »Spiegel«-Bestsellerliste verrät einem dann, dass man über Martin
schreiben muss. So tut es Ricarda Schultchen in »A Game of Thrones,
indeed«. Laut der Literaturliste hat sie von Martin immerhin A GAME
OF THRONES gelesen, also den ersten Band der Serie. Sonst steht nichts
auf ihrer Leseliste vom »Meister« selbst, aber das ist kein Wunder. Von
den 11 Titeln unter »Works Cited« sind sieben leicht zu ergoogelnde
Artikel (samt Netzadresse), eines ist genannter Martin selbst – bleiben
drei zitierte Titel. Das sind dann THE ENCYCLOPEDIA OF FANTASY, EMPIRES
OF THE IMAGINATION: A CRITICAL SURVEY OF FANTASY CINEMA
FROM GEORGE MELIÉS TO THE LORD OF THE RINGS und ein Artikel aus
einem Buch über die Serie. Früher hätte mir mein Professor so etwas
um die Ohren gehauen, heute kommt man damit in ein Jahrbuch.
Heidi Weig ist beim Steampunk angekommen. Ihr »Rebuildung
Yesterday to ensure our tomorrow« gibt einen netten Überblick, ignoriert
aber gängige, aktuelle Literatur (z. B. STEAMPUNK von Alex
Jahnke und Marcus Rauchfuß).
Artikel zu Filmen reizen mich nicht so, also überspringe ich Matthias
Hurst und seinen Beitrag zu »Pans Labyrinth« und Laura Muth
und Pascal Klenke mit ihrem Beitrag über (so der Untertitel) »Darstellungen
der griechischen Götterwelt im zeitgenössischen Film«. Nebenbei:
Ich verstehe unter »Die Beiträger« am Ende des Buches die alphabetische
Logik hinter Kegler – Klenke – Kern nicht. Daher steht wahrscheinlich
auch Muth vor Klenke.
Eigentlich schätze ich Johannes Rüster. Aber sein Beitrag »Sie sind
unter uns« über »Augmented Reality als missing link zwischen Phantasie
und Realität« lässt sowohl den Rüsterschen Humor vermissen, als
auch seine Fähigkeit, sich tief in Probleme einzudenken. Hier präsentiert
er nur allzu Bekanntes in langweiliger Diktion. Schade.
Axel Koehler versöhnt einem wieder mit dem JAHRBUCH, wenn er
über »Seamas Ban MacMhuirich – James MacPherson« als »Gäle und
Urvater der heroischen und der unheimlichen Fantasy« schreibt.
Anna Wille beschäftigt sich mit »Gender and male domesticity in
G. K. Chesterton’s The Club of Queer Trade«, ohne mich als Leser zu begeistern; der Eintrag unter »Die Beiträger« informiert einen darüber,
dass sie über Chesterton gerade promoviert. Also ist das hier wohl ein
herausgeschnittenes Kapitel – und so liest es sich auch.
Gerd Strohmeier streut mit seinen Äußerungen (mehr ist es nicht)
unter »Ein Ring … Gewaltenteilung zu unterbinden« politologische
Allgemeinplätze als Streusel über jenen Kuchen, der Tolkien heißt.
Gähn.
In der Schule habe ich Gedichtinterpretationen immer gehasst, so
auch hier – daher übersprang ich Ingmarie Flimms »But Cruel is she!«
über »The Forsaken Merman« von Matthew Arnolds.
Und ob ich etwas wissen will über »Rumänische Phantastik, oder
wie ich Mircea Eliade wieder entdeckte« von Elmar Schenkel, naja, ich
habe es nach der Hälfte übersprungen, weil es ihm nicht gelang, mich
zu fesseln.
Aber eine andere Bürde werden die deutschen Inklings nicht los: Den
Mut zum Oberseminar, die nervige Angewohnheit, gerne Artikel von
»netten Mitarbeitern« auf Englisch zu veröffentlichen. Deutsche, die
auf Deutsch hier veröffentlichen dürfen, sind nur Flimm, Fornet-Ponse,
Hurst, Klenke/Muth, Koehler, Petzold, Rüster, Schenkel, Schreier/-
Heintz und Strohmeier.
Ihre Muttersprache verleugnen Burstyn, Giebert, Schultchen, Seibel,
Voigt, Weig und Wille. Das macht Sinn, denn hier ist die wissenschaftliche
Karriere noch nicht weit genug fortgeschritten, um zur
Muttersprache vorstoßen zu dürfen – wer würde Böses denken, wenn
man in den Lebensläufen der Englisch-Schreiber FH-Mitarbeiter (Giebert),
Promovierende (Schultchen), wissenschaftliche Hilfskräfte
(Burstyn, Weig) und wissenschaftliche Mitarbeiter (Voigt) findet, sowie
zwei Mal die Kombination wissenschaftlicher Mitarbeiter/Promotion
(Seibel, Wille). Hier sind die Abhängigkeiten klar, und da muss
man dem zuständigen Professor noch beweisen, dass man Fremdsprachen
kann. Schade.
Wie heißt es im Vorwort: »Der freizügige Umgang mit Prätexten
und das Spiel mit Realitätsebenen sind Kennzeichen der literarischen
Postmoderne.« (S. 10) Dem ist nichts hinzuzufügen.