Nazis in Tibet

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Peter Meier-Hüsing
"Nazis in Tibet – Das Rätsel um die SS-Expedition Ernst Schäfer"
Darmstadt, 2022 (2., durchgesehene Auflage)
978-3-534-27425-3
288 Seiten

Wer in die mystischen Verschwurbeleien eines Teils der Nationalsozialisten abgetaucht ist, der stößt früher oder später auf die Tibet-Ideen von Himmler und „Ahnenerbe“. Dieses Buch stellt den Hintergrund von Himmlers Gedankengebäude dar (das entsprechende, einführende Kapitel heißt sehr schön "Arier-Tümelei – Heinrich Himmlers esoterische Obsessionen") und gibt einen Einblick in das Leben und die Karriere von Ernst Schäfer, dem "Gesicht" der Expedition. Danach kommen esoterische Nebenwege und Tibet-Beschreibungen nicht zu kurz, womit man ein – das sei vorangestellt – kurzweiliges Buch erhält, dass einen in eigenartige Abgründe führt (und damit sind nicht die Schluchten Tibets gemeint).
Die Tibet-Expedition wurde von SS und Ahnenerbe organisiert und finanziert. Es ging dabei eben nicht um eine un-politische Expedition von Naturwissenschaftlern, sondern um handfeste okkulte Fragen:
"Schäfer und Beger erinnerten sich an einen ihrer Aufträge aus Berlin: Was hat es mit Sspuren und Relikten einer möglichen früheren arischen Hochkultur in Tibet auf sich? Gab es einst eine vorbuddhistische Kultur in Tibet, angeführt von stolzen Kriegerkönigen, männlich-arisch, dem Diesseits und der Tat verpflichtet, die dann später aus unbekannten Gründen unterging und von einer „verweichlichten“ Kultur des tibetischen Buddhismus überlagt und verdrängt wurde, dessen oberster Klerus das Land nun unangefochten regierte?!" (S. 128)
Da zog die Expedition also wirklich durch Tibet und ein Teil ihrer Aufgaben war das Vermessen von Schädeln, auf der Suche von arischen Spuren. Himmlers weltanschaulicher Ansatz als Hintergrund der Expedition ist klar:
"Und außerdem war Himmler (…) ein erklärter Feind der Kirche. Seine Versuche, eine fiktive arisch-germanische (Hoch-)Kultur gerade als Gegenentwurf zur christlichen wiederauferstehen zu lassen, bezogen sich auf alle Lebensbereiche. Das »Ahnenerbe« quasi als Kulturinstitut zur Erforschung einer germanischen Prähistorie gehörte ebenfalls zu den Kernaufgaben dieser SS-Organisation."(S. 181 f.)
Man betritt im Buch und wie in der realen Expeditions-Welt alle bekannten, mystisch ausgetretenen Pfade – von Karl Maria Wiligut bis Madame Blavatsky spielen hier alle mit. Und "das Germanische" darf auch nicht fehlen. Hier ein Zitat über eine Jul-Feier in Tibet:
"Aber es war der 21. Dezember, Wintersonnenwende und damit für jeden aufrechten SS-Mann ein Tag der Feier heidnisch-germanischen Brauchtums, sei es in Berlin oder nahe der tibetischen Grenze. Die Deutsche erstanden fünf Zentner Brennholz für ein üppiges Lagerfeuer, entzündeten einen »Julleuchter«, während Wienert an seinem Kurzwellengerät so lange nestelte, bis er eine Verbindung zur Heimat hergestellt hatte, und über die Radiowellen knisterte tatsächlich eine Rede ihres Schirmherrn Heinrich Himmler (…)."(S. 106)
Ein Drittel historischer Hintergrund, ein Drittel Reisebeschreibung, ein Drittel Esoterik – so würde ich das Buch zusammenfassen. Erschreckend ist die Beschreibung der Schicksale der Expeditionsteilnehmer nach der Rückkehr – von nationalsozialistischen Kaffeefahrten als Werbetour über Einsätze in Konzentrationslagern bis hin zur völligen Leugnung jeder Verbindung zur SS nach dem Krieg. Alles Mitläufer, die rein wissenschaftlich orientiert und ohne politischen Hintergrund nach Tibet gereist sein wollen. Leugnen, vergessen, verwirren – um dann doch im entsprechenden Umfeld gerne eine Würdigung zu akzeptieren, wenn die Zeit dafür reif ist.
Das letzte Kapitel nennt sich dann „Spurensuche – Die »Schwarze Sonne« taucht auf“. Hier gibt es um das "mystische Fortleben" des Nationalsozialismus, um die Schwarze Sonne und die Wewelsburg und die phantastischen Wege, welche die Bearbeitung des Mythos gerade in Literatur und Film genommen hat.
Eine echte Empfehlung für neugierige Leser. Darüber hinaus ist das Buch ist mit gut reproduzierten Fotos ausgestattet. Oft fehlen mir Quellenangaben zu den genauen Fundorten der Zitate, aber bei einem Überblick ist das vielleicht zu viel erwartet (und gehört zum üblichen Genörgel des Historikers).