Nordische Götter und Fantasy

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1. Einführung
Es ist wahrnehmbar, dass es eine enge Bindung zwischen Neuheiden und Fantasy-Literatur gibt. Die ist nicht nur auf persönlichen Beobachtungen gegründet, sondern auch wahrnehmbar aus dem Zitatenschatz der neuheidnischen Bewegung. Überall kann man erkennen, dass der "klassische Neuheide" seine moderne Fantasy-Literatur kennt und umgekehrt auch immer wieder neuheidnische Versatzstücke in ihr wiederfindet (ob diese dort wirklich vorhanden sind oder er sie nur dort hineininterpretiert, könnte am Ende des ‚Beitrags ein wenig klarer werden).
Die Leser-Autoren-Bindung ist in keiner Literaturgattung so eng wie bei der Phantastik (als allgemeiner Begriff für die Trias Science Fiction, Fantasy und Horror); ansatzweise vergleichbar ist sie nur mit der Kriminalliteratur, wo es wenigstens Ansätze eines "Fandoms" gibt. Diese enge Bindung zwischen Leser und Autor führt natürlich dazu, dass in der "Szene" ausgesprochen viele Informationen über die Autoren und das Genre bekannt sind. Eine Gegenprobe ist daher schwer – wir wissen nicht, ob auf einem Treffen von Fans historischer Liebesromane eine entsprechende Heiden-Dichte vorhanden wäre. Es ist nicht davon auszugehen, aber eine echte Gegenprobe können wir nicht liefern. Also verlasse ich mich weiterhin auf (ansatzweise) empirische Beobachtungen und die Rückschlüsse, die aus der beobachtbaren gegenseitigen Beeinflussung von Literatur und Fandom möglich sind.
Die aktuelle Heidenszene lebt zu einem nicht geringen Teil von dem "Input", der ihr durch die Literatur (und in den letzten 20 Jahren auch die Film- und Fernsehindustrie) gewährt wird. Beginnend mit einem "Darkover"- und "Nebel von Avalon"-Boom in den frühen 80ern haben wir seitdem den Anne Rice- und den "teen witch"-Boom überlebt, als auch die "Buffy"-Generation. Die "Sex mit Vampiren"-Teens dürften bald alt genug sein, um sich in der Szene breit zu machen.
Diese vier Wellen sind jene, die ich in den letzte 25 Jahren aktiv beobachten konnte – davor gab es sicherlich weitere Wellen, die durch literarische Phänomene angeregt waren, und es werden weitere kommen. Aber seit den 80ern Jahren ist Phantastik Teil der Mainstreamkultur, von daher sind die Auswirkungen auf die heidnische Szene klarer zu beobachten. Ein paar Details zu den Wellen möchte ich im Folgenden liefern.

Marion Zimmer Bradleys "Darkover"-Serie begann 1962, aber ihre verstärkte deutsche Rezeption begann mit dem Boom um "Die Nebel von Avalon" (Original 1982, deutsch 1983). So hatten wir in den 80ern verstärkt mit Neuheiden zu tun, die sich mit der psychischen Kraft des "Laran" a la Darkover und ihren keltischen Wurzeln beschäftigen, das Neuheidentum war voll mit selbsternannten Morgana Lefays und wiedergeborenen Artusrittern, die das Tor nach Atlantis suchten (wahlweise auch den Tor von Atlantis, mir war das damals wie heute nicht ganz klar).
Anne Rice‘ "Interview with the Vampire" stammt von 1976, die erste deutsche Ausgabe ging unter, erst die Verfilmung 1994 löste einen richtigen Boom aus. Und was hatten wir davon? Danach kamen die unsterblichen Bluttrinker und ihre Gesellen in die Szene, die sich auf einer pseudo-ägyptischen Hintergrundgeschichte aufbauend bis in die Gegenwart gesaugt haben, ohne aufzufallen. Das Licht meidend und Blässe preisend trafen sie sich gerne nachts, um aus Ratgebern a la Sandras "Hexenrituale" zu lesen. Nicht vermeiden sollte man hier einen Verweis auf das in der Gothik-Szene ausgesprochen erfolgreiche Rollenspiel "Vampire: The Masquerade" von "White Wolf", welches 1991 auf den Markt kam. Durch seine dichte Darstellung einer vampirischen Gesellschaft, seine Möglichkeit zum vampirischen Live-Rollenspiel und seine multimediale Vermarktung mit Romanen, Kartenspielen und so weiter durchdrang es die Szene schnell und führte zu einer Informationsflut am heidnischen Rand mit vampirischen Informationen, die kein Mensch braucht.
Dann gab es auf einmal eine hexende Parallelgesellschaft, die sich neben der Menschheit entlang entwickelt und ab und an eingreift, um uns zu helfen – nein, ich spreche nicht von "Harry Potter" und magischen Schulen, sondern von "Buffy", welche eine sehr ähnliche Hintergrundgeschichte schon früher verbreitet hat. Wer es nicht glauben mag: Band 1 von Joanne K. Rowlings "Harry Potter" erschien ohne größere Resonanz 1997, deutsch 1998, "Buffy" ging im März 1997 auf Sendung, der Pilotfilm mit derselben Hintergrundgeschichte, aber einer anderen Hauptdarstellerin, stammte aber von 1992. So lächerlich und inkohärent die Magie bei "Harry Potter" auch ist, so wundervoll auch die Karaoke-singenden Dämonen beim "Buffy"-Offspring "Angel" wiederum in ihrer Persiflage sind, leider ist das Karaoke-Singen nicht Teil von heidnischen Praktiken geworden, während "Harry Potter" und "Buffy" schon Spuren in der heidnischen Szene hinterlassen haben.
Die Ansichten zu Rowling sind geteilt, die Lesarten vielfältig. Ich will eine Lesart versuchen, von der ich weiß, dass sie nicht mehrheitsfähig und sogar ein wenig polemisch ist. Also: Die magische Parallelgesellschaft a la "Harry Potter", die Idee eines magischen Erbteiles, das einen zwischen Schlammblütern und Magiern unterscheiden lässt, führt folgerichtig irgendwann zu einer Magie fördernden Genetik, wo der magische Mensch seinen unbegabten genetischen Begleiter ausrottet. Es ist richtig: Es sind bei "Harry Potter" die "Bösen", die eine Unterscheidung nach Gaben vornehmen, aber es ist (und bleibt) eine Parallelgesellschaft der magisch Begabten neben den normalen Menschen, mitnichten ein mythisches Multi-Kulti. Rowling lobt das Gewissen, das Verteidigen der eigenen Ideale, die Opferbereitschaft – das alles stimmt und ich will es nicht verschweigen. Aber meiner Ansicht nach haben "Harry Potter" und Konsorten insgesamt mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht – aber die Beschäftigung in der heidnischen Szene mit diesen Quellen ist leider gleich Null; wo eine inhaltliche Beschäftigung gefragt wäre, erntet man nur Unverständnis und Ablehnung, wenn man auf diese Rezeptionslücken hinweist.
Heute sind wir gefühlt bei Stephenie Meyer und Werken wie "Bis(s) zum Morgengrauen" (Original "Twilight" 2005, deutsch 2006). Dass die Autorin bekennende Mormonin ist, wird kaum wahrgenommen – aber es scheint einfacher zu sein, Jugendliteratur zu lesen, die von einer Frau geschrieben wird, die daran glaubt, dass Jesus Christus in Nordamerika war, um die Indianer zu missionieren und Gott dort goldene Tafeln zurückgelassen hat, die leider verschlampt worden sind, als Bücher zu lesen, die von Menschen geschrieben werden, die daran glauben, dass die ersten Menschen von einer Kuh aus dem Eis geleckt worden sind. Nun ja, vielleicht wird das prägende Thema für die nächsten Jahre beim heidnischen Nachwuchs "Sex mit Vampiren", so dass gutaussehende, männliche Heiden in der Szene darauf hoffen dürfen, in den nächsten Jahren einen regelmäßigen Nachschub an Sexualpartnerinnen zu haben, wenn es ihnen gelingt, sich selbst als Untote jeder Couleur darzustellen – und trotzdem regelmäßig zu duschen, aber das ist ein anderes Thema und nicht nur, weil das Leben als gefälschter Untoter der Idee des regelmäßigen Duschens diametral widerspricht.

Es ist müßig über die Frage zu diskutieren, was der erste Fantasy-Roman war und was eigentlich Fantasy umfasst. Die Diskussion, die in den 70ern und 80ern nur einen Innenkreis von "Fans" berührt hat, weitet sich desto mehr aus, umso mehr Fantasy im Mainstream ankommt. Die grundlegende Doktorarbeit "Fantasy – Theorie und Geschichte" von Dr. Helmut W. Pesch stammt aus dem Jahre 1984 und konnte damals nur als Sonderdruck im Rahmen des "Ersten Deutschen Fantasy Clubs" erscheinen. Keine 20 Jahre später (nämlich 2003) kann derselbe Pesch ein Buch wie "Elbisch – Grammatik, Schrift und Wörterbuch der Elben-Sprache J.R.R. Tolkiens" in einem großen Verlag herausbringen – und das Buch verkauft sich.
Spätestens seit Filmen wie "Excalibur" (1981), "Conan" oder "Der dunkle Kristall" (beide 1982) oder "Krull" (1983) ist es schwieriger geworden, das Genre zu definieren. Umreißen wir es ruhig im Rahmen der "Sword & Sorcery" und erklären wir der Einfachheit halber alles zur Fantasy, was die bekannten Mix-Bestandteile Barbaren, Magier, Schwerter, Zauberstäbe, hübsche Frauen und mittelalterliche Städte in einem magisch-mystischen Kontext umfasst. Und um Arbeit zu sparen verfalle ich auf kein längeres Quellenstudium, um die Frage zu klären, woher die moderne Fantasy kommt. Ich beschränke mich auf drei wichtige Vorreiter (Warnung: Nicht alle haben Verbindungen zur nordischen Mythologie), sowie ein paar Namen für die Zeit nach dem Weltkrieg. Und schon steigen wir über die "Pulps" in die moderne Fantasy-Literatur seit dem Zweiten Weltkrieg ein. "Pulps", das sind jene auf billigem Papier produzierten Vorläufer der Taschenbücher und Ursache und Wurzel so vieler moderner Entwicklungen in Fantasy und Heidentum.

Und nie vergessen: wie heißt es schon 1992 in "Religion als Kulturkritik" von Stefanie von Schnurbein: Aufschluss über die Verbindungen zwischen germanischem Heidentum und verschiedenen anderen gegenwärtigen Subkulturen könnte eine literaturwissenschaftliche Analyse von Fantasy-Literatur geben, in der vielfach Elemente der germanischen Mythologie verwendet werden.[1]

2. Erste Vorreiter
William Morris (1834-1896) gilt als einer der Vorreiter der modernen Fantasy. Seine Bücher wie "The Well at the World’s End" (1892; Deutsch als "Die Quelle am Ende der Welt", 1981) oder "News from Nowhere" (1890, deutsch als "Kunde von Nirgendwo") werden als Proto-Fantasy verstanden; liest man sie heute, so kann man erkennen, wie sehr er spätere Autoren beeinflusst hat.
Aber er war auch ein großer Freund der nordischen Mythen, wie man an seinem epischen Gedicht "The Story of Sigurd the Volsung and the Fall of the Niblungs" von 1876 erkennen kann. Dieses lose auf der "Völsungen-Saga" aufgebaute Werk findet bis in die Gegenwart seine Leser, was vielleicht auch an der wunderschönen Sprache li'egen mag. Die Saga endet folgendermaßen:
Ye have heard of Sigurd aforetime, how the foes of God he slew;
How forth from the darksome desert the Gold of the Waters he drew;
How he wakened Love on the Mountain, and wakened Brynhild the Bright,
And dwelt upon Earth for a season and shone in all men’s sight.
Ye have heard of the Cloudy People, and the dimming of the day,
And the latter world’s confusion, and Sigurd gone away.
Ich versuche keine Übersetzung.[2]
Lin Carter – Fantasy-Autor extraordinaire, Herausgeber, Fan, Harlequin der Szene – schrieb über Morris: Von Thorpes "Nordischer Mythology" hatte er die Liebe zu den isländischen Sagas; er reiste nach Island, den historischen Boden der Saga-Helden selbst zu erlaufen. Von seinen enorm erfolgreichen Übersetzungen lernte eine Generation von Lesern diese große Literatur zu lieben – eine Generation, die E. R. Eddison, Fletcher Pratt und C.S. Lewis umschloss.''
Der zweite wichtige Name ist der von Eric Rücker Eddison (1882-1945), Autor von "The Worm Ouroboros" (1922; Deutsch erst 1981 als "Der Wurm Ouroboros") – ich halte es für unlesbar, andere glauben, dass es die absolute Offenbarung innerhalb der Fantasy ist. Geschmackssache. Diesem Werk folgte unter anderem ein Wikingerroman ("Styrbiron the strong", 1926, deutsch erst 1996 als "Styrbjörn der Starke"). Noch einmal Lin Carter: Eddison veröffentlichte (…) als nächstes ein Buch namens "Egils Saga" (…). Dies war eine Neufassung einer der längeren Sagas.[3]
Diese "Egil’s Saga" ist meines Wissens nach bis heute nicht ins Deutsche übersetzt.

Der Dritte, den man hier als großen Vorreiter der modernen Fantasy erwähnen sollte, ist der von 1887 bis 1957 lebende Edward John Moreton Drax Plunkett. Es macht nichts, wenn man nicht sofort weiß, wer das ist – aber mit solchem "junk knowledge" muss der "Fantasy-Nerd" seine Gehirnwindungen belasten. Plunkett wurde unter dem Namen bekannt, den er erbte, als sein Vater starb – Lord Dunsany.
Ich selbst finde seine Fantasy eher unlesbar, überladen, voll mit unverständlichen Mythen (am schlimmsten in den Romanen um die Welt Pegana; startend mit "The Gods of Pegana", 1905), aber "The King of Elfland’s Daughter" (1924) (deutsch als "Die Königstochter aus Elfenland", 1978) ist superb; seine (unmagischen, aber oft gespenstischen) Geschichten um Jorkens und Smetters sind großartig (deutsch als "Jorkens borgt sich einen Whisky. Zehn Clubgeschichten", Neuausgabe 1979 und "Smetters erzählt Mordgeschichten. 15 Lügen und Kriminalstories um Jorkens und Smetter", 1972). Nebenbei: Wenn jemand bis jetzt ohne Lesewunsch aus diesem Artikel bleibt, so werde ich jetzt in seinem Unterbewusstsein den Hinweis verankern, dass man "Jorkens borgt sich einen Whisky" lesen muss.

Der Einfluss der drei genannten Autoren ist … gigantisch. Umso schlimmer ist, dass ihre Namen aus dem Bewusstsein der lesenden Öffentlichkeit – außerhalb der Reihen einiger Spezialisten –verschwunden zu sein scheinen.

3. Inklings-Genossen
C. S. Lewis war ein Mitglied der englischen "Inklings", Autor von drei Science Fiction-Romanen und einer siebenbändigen Fantasy-Serie um die Welt "Narnia". Die "Inklings" waren ein Diskussionszirkel und Leseclub: Bei solchen Treffen gab einen weiten Rahmen an Diskussionsthemen. Lewis älterer Bruder erinnert sich folgendermaßen: "Es ging über Bier zu »Beowulf«, von Folter zu Tertullian, von Langweilern über die Theorie hinter dem mittelalterlichen Rittertum hin zu Orten mit eigenartigen Namen."[4]
"Beowulf" und mittelalterliches Rittertum, das klingt doch nach heidnischen Themen. Richtig ist, dass Lewis frühe Arbeiten in diesem Bereich lagen. Über diese Arbeiten heißt es: Die frühen Dinge, die er nur für sich selbst schrieb – so wie "Der gebundene Loki" – sind fast komplett unlesbar.[5]
"Loki Bound" – so im Original – ist leider unauffindbar, aber Lewis‘ Liebe zu nordischen Sagen wird auch durch mehr belegt. Lin Carter schrieb über ihn: Das erste war eine Liebesaffäre mit dem, was W. H. Auden das "nördliche Ding" nannte, der Mythos des nordischen Europas, dem er [Lewis] erstmals in Longfellows Gedicht "Tegners Tod" begegnet; seine Liebe wurde später verstärkt durch seine zufällige Entdeckung von Wagners "Ring" und wurde für immer durch seine Begegnung mit William Morris besiegelt: "Ich hatte ihn erst in Zitaten in Büchern über nordische Mythologie entdeckt. Das führte mich zu Sigurd, dem Völsungen."[6] Ein christlicher Biograph Lewis‘ schreibt darüber: Bald las Jack [C. S. Lewis] alles über nordische Mythologie, was er finden konnte, und wurde rasch zu einem Kenner. Dieses brennende Interesse für den nordischen Götterhimmel und seine Liebe zu der Musik Richard Wagners haben manchen christlichen Leser seiner Autobiografie in den deutschsprachigen Ländern irritiert.[7]
Narnia ist eine Welt, die auf den ersten Blick sicherlich nicht wirkt, als wäre sie von nordischen Mythen beeinflusst – eher im Gegenteil. Es gibt mit Aslan eine klare Christusgestalt, es gibt einen christlichen Gottvater, es gibt Reue und Sünde, aber … da ist eben noch mehr, andere Figuren und Bilder, die an den Rändern der Welt kratzen, um in das Gedankengebäude hineingelassen zu werden.
Über die Bewohner von Narnia schrieb Lin Carter: (…) und bekannte Wesen aus der Mythologie Nordeuropas, wie Zwerge und Oger und Ettins und den Fenris-Wolf, den Peter mit dem magischen Schwert Rhindon erschlägt.[8]
Schon ... eigenartig, diese Vermischung von Christentum und Heidentum.

Aber ausgerechnet C.S. Lewis wurde von Lin Carter genannt, wo doch sein akademischer Freund viel bekannter ist. Bei diesem handelt es sich um einen gewissen J.R.R. Tolkien, der laut Lin Carter immer schon von "the Northern Thing"[9] fasziniert war. Von Lewis ist bekannt, dass er sich mit Tolkien über nordische Mythologie ausgetauscht hat.[10] Aber ohne diesen Beleg wäre Tolkien schon fast ein Vorführfall für den Einfluss der "Edda" auf die Fantasy. Bekannt ist, dass Tolkien selbst die "Eddas" gelesen hat.[11] Ebenso bekannt ist auch, dass alle Zwergen-Namen im "Herrn der Ringe" aus der "Edda" stammen.[12]
Lin Carter geht in seiner Einschätzung noch weiter: Die Szenerie von Mittelerde kommt uns bekannt vor; wir haben eine solche Welt der ungebändigten Wälder und abenteuerlichen Erkundungen und durch Drachen geschützte Schätze in den nordischen Sagen, der "Edda", dem germanischen "Nibelungenlied", in Wagners "Ring" und – ja! – in Grimms Märchen besucht. Es ist das bekannte heroische oder mythologische Zeitalter der nordischen europäischen Folklore, Legende und epischen Literatur, mit neu entwickelten Namen versorgt. Als der Professor die Trilogie niederschrieb, hatte er einige Hintergedanken über die im "Hobbit" eingeführte Mythologie. Daher wurden die Goblins zu Orks, der Nekromant wurde Sauron, die Karten am Ende und das Ergebnis des Rätselkampfes zwischen Bilbo und Gollum wurden bearbeitet. Spätere Druckausgaben des "Hobbits" wurden überarbeitet, um diese Entwicklung wiederzugeben.[13]
Ich gebe gerne zu, dass mir das nicht bekannt war. Ein Proto-"Herr der Ringe" voller nordischer Anspielungen, der uns wohl entgangen ist, weil Tolkien ihn mehrere Male überarbeitet hat. Aber der 2009 postum erschienene Epos "The Legend of Sigurd and Gudrún" (deutsch 2010) dürfte uns beweisen, wie nahe Tolkien der nordischen Überlieferung stand. Dass ich ihn als Autoren privat unlesbar finde, ist ein anderes Problem, welches sich nicht mit einem Konflikt zwischen Hoch- und Niederliteratur erklären lassen sollte.
Die religiöse Deutung von Tolkiens Werk war immer zwiespältig. Es gab eine dezidiert christliche und eine dezidiert heidnische Deutung der Mythologie von Mittelerde. Dies spiegelt sich in vielen Kommentaren zum "Herr der Ringe": Von Anbeginn seines Schreibens an gab es zwei unterschiedliche Weltuntergangsszenarien: die dunklere Variante am Ende seiner Legende war mehr oder weniger auf dem nordischen Ragnarök aufgebaut (…)[14]

Ein Ragnarök, in dem das Schicksal der Welt an einem Ring liegt, viele Helden sterben müssen und danach eine neue Welt entsteht. Natürlich konnte ein solches Werk an den Neo-Paganen oder Neuheiden nicht vorbei gehen, die bereitwillig auch die Visionen von Tolkien aufnahmen.
Vgl. Adler, S. 4</ref> Neben der grundlegenden Arbeit von Margot Adler "Drawing down the moon" aus dem Jahre 1986 seien hier Jacques Bergier und Louis Pawels erwähnt, in deren 1962 auf Deutsch erschienenen Buch "Aufbruch ins dritte Jahrtausend" es heißt: Möglicherweise ist auch Numinor [sic], die mysteriöse Keltenstadt aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., keine Legende, obwohl wir nicht das geringste über sie wissen.[15]
In der Fußnote hierzu heißt es augenzwinkernd: Siehe hierzu die Arbeiten Prof. Tolkiens von der Universität Oxford.
In diesem Zitat zeigt sich – hier wohl eher ironisierend – die ganze Problematik eines heidnischen Zeitalters, welche Zitate aus heidnischen Mythen rezipiert in der Phantastik liebevoll rezipiert und diese als Beweis dafür nimmt, wie lebendig die heidnischen Mythen dahinter sind. Ein gefährlicher Zirkelschluss der ignoriert, wie wenige schriftliche Quellen (in diesem Falle die "Eddas" plus umgebende Literatur) wie viele Werke der Fantasy beeinflusst haben. Dem heutigen Leser ist jedoch oft unklar, welchen reifen Hintergrund an klassischer Bildung Autoren wie Lewis und Tolkien hatten (beide waren Professoren mit entsprechenden Fachgebieten) und auf welchen gigantischen Schultern sie standen – und damit meine ich nicht nur die Schultern von Edward John Moreton Drax Plunkett.

4. Die Pulp-Ära
Viele moderne Autoren sind der Pulp-Ära groß geworden; ich will jene später erwähnen, die als Kinder und Jugendliche Pulps lasen und vielleicht ein paar Kleinigkeiten dort veröffentlicht haben; wenden wir uns erst den Autoren zu, die in der Pulp-Ära groß waren.
Zwei Namen sind jedem Leser schnell ins Gedächtnis zu rufen, wenn es um Pulps geht – H.P. Lovecraft und Robert E. Howard. Das "Cthulhu"-Universum von H.P. Lovecraft (1890-1937) mit seinen tentakelbewehrten, aus fernen Dimensionen stammenden Überwesen ist so dermaßen frei von blonden Zöpfen, Äxten oder Met, wie es ein Universum nur sein kann, und daher lässt sich eine Parallele zum nordischen Pantheon nur schwer ziehen. Trotzdem durchzieht Cthulhu mit seinen Kumpels unsere moderne Kultur – nicht nur mit dem wunderschönen Cthulhu-Fisch als oft zu sehende Alternative zum christlichen Fisch als Autoaufkleber, sondern auch wegen seiner Omnipräsenz in bestimmten Szenen. Aber: Cthulhu ist definitiv kein Asatru.
Bei den "Conan"-Geschichten von Robert E. Howard (1906-1936) ist es nun leichter, eine Verbindung zum nordischen Mythos zu ziehen. Kaum ein Fantasy-Mythos ist so mit Sekundärmaterial bearbeitet worden (okay, sieht man einmal von Tolkien ab); 1980 veröffentlichte der Fantasy-Autor Poul Anderson einen Artikel namens "Who were the Aesir?", in dem er die Frage aufwirft, inwieweit Howard in seinen "Conan"-Geschichten versucht hat, eine Vorgeschichte unserer Welt zu schreiben, deren Protagonisten später zu (Halb-)Göttern wurden. Diese Analogie zu Tolkien, der auch irgendwie eine mythische Vorgeschichte Europas schreiben wollte, drängt sich auf – und ist in beiden Fällen nicht von der Hand zu weisen. Während Howard ein lemurisch-atlantisches Vorleben beschreibt, aber viele klassische Kulturelemente aufnimmt (griechische, keltische, afrikanische …), ist es bei Tolkien eher die Karte Mittelerdes, die an eine Frühform Europas gemahnt (die Schwarzen im Süden, ein tolles Inselreich im Nordwesten und das Böse im Osten). Nun wird Conan glücklicherweise wenig als Asatru rezipiert, was es einem auf heidnischen Treffen einfacher macht, nicht jemanden zu erleben, der eine Axt über der Schulter trägt, "Bei Crom!" in sich hinein murmelt und mit den Fingern isst.

Drei weitere Pulp-Autoren will ich kurz erwähnen. Seabury Quinn (1889-1969) ist heute den wenigsten ein Begriff, obwohl seine Romane um den okkulten Detektiv Jules de Grandin Klassiker der Okkultistik sein sollten.
Clark Ashton Smith (1893-1961) war ein Brieffreund von Lovecraft und ein Teil seines "Cthulhu"-Zirkels. Heute etwas schwer lesbar, aber sicherlich sind seine an Drogenphantasien gemahnenden Schilderungen lesenswert – und nicht nur, weil man damit einen großen Einfluss auf Lovecraft aufdeckt.
Robert Bloch (1917-1994) dürfte für die Verfilmung von "Psycho" am bekanntesten sein (als Buch 1959, der Hitchcock-Film stammt von 1960), aber er war auch ein Brieffreund von Lovecraft, ein Mensch mit vielen Interessen im okkulten Bereich und ein Meister, ja ein absoluter Meister der Kurzgeschichte.
Aber, Entschuldigung, keine Asatru. Wäre auch zu schön gewesen.

5. Exkurs: Shaver
Wenden wir uns einer fantastischen Welt zu, in der es den Kontinent Atlantis und Siedlungen unter Atlantis gibt und natürlich das Land Mu, dazu weißhäutige "nor-maidens" mit weiß-gelbem Haar[16] und eine Rasse namens "Nortans", eigentlich "Nor-men" – (…) aber die Nor-Männer flohen die Sonne und können nur dort gefunden werden, wohin der Sonne Strahlen nicht scheinen.[17]
Es gibt dort die Aesir, Tyr und Odin samt Odins Auge, eigentlich einem "great ray", einem großen Strahl.[18] Und natürlich befehligt Odin die Einheriar.
Ich spreche über den Autoren Richard S. Shaver. Nicht unbedingt eine der bekannten Quellen für Asatru-Fantasy des 20. Jahrhunderts, aber eine, in die es sich zu tauchen lohnt.
1945 begann in den USA etwas, was unter dem Namen Shaver-Mythos bekannt wurde; so irre, dass man es kaum glauben mag. "Pulp"-Fachmann Ron Goulart schreibt darüber: Raymond S. Palmers größte erinnerte Leistung zum Feld der Pulp-Science Fiction war der Shaver-Mythos. Richard S. Shaver lebte in einem kleinen Ort in Pennsylvania und glaubte an Lemurier. Beginnend mit "Ich erinnere Lemuria" in der März 1945-Ausgabe von "Amazing" wurden Shavers Schilderungen seiner Erfahrungen und Theorien über die Flüchtlinge eines Atlantis-ähnlichen Lemuria zu einer richtigen Serie. (…) Sich auf seine "Rassenerinnerungen" berufend beschrieb Shaver in großen Einzelheiten die Aktivitäten einer kleinwüchsigen degenerierten Rasse namens "Deros", die in großen unterirdischen Höhlen unter der Oberfläche der Erde hausen. Durch Telepathie und geheime Strahlen sind die Deros verantwortlich für die meisten irdischen Katastrophen – Kriege, Feuer, Flugzeugabstürze, Schiffsuntergänge und nervöse Zusammenbrüche. Ich glaube, das war der größte Mist, den ich je in die Finger bekam. Palmer druckte es und verdoppelte die Auflage von Amazing innerhalb von vier Monaten.[19]
Childress schreibt in seinem Buch über Shaver, dass "The Shaver Mystery" im März 1945 mit dem kompletten Ausverkauf von "Amazing Stories" begann, die Zahl der Fan-Briefe stieg von 50 pro Monat auf 2.500.[20] Irgendwas an dieser Geschichte hat den Nerv der Zeit gerührt – und eine der beschriebenen Gruppierungen der Superzivilisationen waren nordisch angehauchte Superwesen, die ganz offensichtlich als Vorfahren der nordischen Götter (genauer als die geschichtlichen Vorbilder der mystischen nordischen Götter) gedacht waren. Nun gut, Shaver war irre, aber er verbrannte das Terrain der "nordisch inspirierten Science Fiction" für Jahrzehnte.
Ulrich Magin schreibt in seinem Artikel "Das »Shaver-Geheimnis«" zusammenfassend über ihn: Shaver muss ein fanatischer Leser gewesen sein, denn in seinen Konstrukten finden sich zahlreiche Einflüsse von religiösen, mythologischen und esoterischen Büchern, aber auch von frühen SF- und Horrorgeschichten. So stammt die Idee der "älteren Rasse" in den riesigen Höhlensystemen direkt aus den Werken des Horrorschriftstellers H. P. Lovecraft (…), die geheime Geschichte der Menschheit mit den Wurzelrassen und den versunkenen Kontinenten (Atlantis, Lemuria, Agarthi) entstammt den theosophischen Werken der Madame Blavatsky (…) und den frei erfundenen Archäologiebüchern des James Churchward (MU); er übernahm eine gehörige Portion Theorien aus dem Werk von Charles Fort (…).[21]

Irgendwie passt das alles nicht zusammen … aber die Fragmente im Werk der "wissenschaftlichen" Prä-Astronautiker passen auch nicht zusammen, trotzdem verkaufen sich ihre historischen Scherbensammlungen gut.

6. Die Nachkriegszeit
Ohne jede Gewichtung inhaltlicher Natur, dafür in alphabetischer Reihenfolge ein paar "große Namen" und ihre Verbindung zum nordischen Mythos.

A wie Anderson
Poul Anderson (1926 – 2011)
Wieder einmal lassen wir Lin Carter zu Wort kommen: Andersons erstes, veröffentlichtes Buch war ein düsteres, zauberhaftes "Sword & Sorcery"-Werk namens "Das zerbrochene Schwert", dessen Wurzeln eindeutig in den Traditionen der skandinavischen Sagas liegen – eher, als bei den Howard’schen Werken der rasselnden Säbel. Anderson hat es leicht, eine Zuneigung zu nordischen Mythen und isländischen Sagas zu veröffentlichen, da er dänischer Herkunft ist.[22]
Die deutsche Ausgabe "Das zerbrochene Schwert" (Original 1971) beginnt mit dem beeindruckenden Satz: Es war ein Mann, Orm der Starke genannt, ein Sohn von Ketil Asmundssohn.[23]
Ein wunderschönes Buch voller nordischer Mythen.
In einem anderen Buch Andersons namens "Operation Chaos" (Original 1971) finden wir in einer obskuren, magischen Parallelwelt "Midgard"[24] einen 2. Weltkrieg[25], in der "Tibeter ihre Gebetsmühlen gegen den Atomkrieg drehen"[26] und "Sleipnir" als Zeichen für Kavalleristen[27]. Auch dies: Ein wunderschönes Buch voller Anspielungen auf die Mythen des Norden.
Die absolute Krönung aber ist "Die Trauer Odins des Goten" (Original 1991) in "Die Chroniken der Zeitpatrouille". Es erzählt die Geschichte eines Zeitreisenden, der Odin sucht und dabei zu Odin wird. Nicht umsonst fand dieses Werk Aufnahme in das Buch von Rudolf Simek (Hrsg.) "Mythos Odin: Texte von der Edda bis zum Heavy Metal" aus dem Jahre 2010.

D wie de Camp
Lyon Sprague de Camp (1907-2000)
De Camp schrieb über Lovecraft und Howard, veröffentlichte "Conan"-Geschichten und schrieb Sachbücher wie "Geheimnisvolle Stätten der Geschichte" (Original 1966). Er interessierte sich für Magie, war sogar einmal beauftragt, ein Buch über moderne Magie in den USA zu schreiben. Die Recherchen dafür führte er durch, doch das Buch erschien nie.
In seiner Novelle "Die Räder der Zeit" (im Original "The Wheels of If", 1940) spielt er mit der Versetzung des Helden in eine Parallelwelt, in der die Wikinger Nordamerika besiedelt haben.
Gemeinsam mit Fletcher Pratt schuf er die Serie um den Helden Harold Shea, der mit Hilfe von Mathemagie – magischer Mathematik – in die Welten der Literatur eindringen kann. Im ersten Roman dieser Serie namens "The Roaring Trumpet" (Original 1941) – deutsch als "An den Feuern des Nordens" – gelangt der Held Harold Shea durch die Mathemagie in die Welt der nordischen Götter, wo er als "Rüben-Harald" Karriere macht und am Ragnarök teilnehmen darf.
Carter schreibt dazu: (…) Shea veranstaltet ein Ratespiel quer durch die Unendlichkeit möglicher Welten, dies endet im Kosmos der nordischen "Eddas" – komplett mit Asen, Jöten und Walküren.[28]

F wie Farmer
Philip Jose Farmer (1918-2009)
Farmer war ein hochintelligenter Autodidakt, der in seinen Romanen die Helden des Pulp vorbeidefilieren ließ. Er schrieb einen Roman zu "Doc Savage" (den er "Escape from Loki" nannte, erschienen 1991), eine Fortsetzung zu "Moby Dick", ließ einen Roman in Oz spielen und so weiter und so fort. Immer wieder – gerade in seinen Romanen um Unsterbliche, die sich mit Tarzan und Doc Savage um die Weltherrschaft streiten – ließ er eine Odin-Figur auftauchen.
Über sein Leseverhalten schrieb Farmer: (…) Ich las – zum Teil mehrmals – "Gullivers Reisen", Carrols "Alice"-Romane, diverse Bücher der Bibel, Bunyans "Pilgerreise zur seligen Ewigkeit", viel von Mark Twain, "Iliad" und "Odyssee", "1001 Nacht", die Oz-Bücher, "Robinson Crusoe", Oliver Schreiners eigenartige kleine Phantasien, "Die Schatzinsel", viel von Jack London, griechische und nordische Mythologie, Lang, Andersen, Grimm, Crumps "Og"-Romane, den gekürzten Malory, "Robin Hood", Doyles "Die vergessene Welt" und Sherlock Holmes, A. Hyatt Verrill, "The Rime of The Ancient Mariner", Peter Pan, diverse Bücher über die Mythologie der amerikanischen Ureinwohner und ich habe sogar das "Buch Mormon" quer gelesen.[29]
Später schrieb er über seinen Lesebedarf: Ich lese immer noch Doc Savage, Science Fiction und andere Pulp-Literatur, aber inzwischen habe ich Hemingway, Faulkner, Goethe, Marlowe und die Autoren der Restorations-Zeit für mich entdeckt. Ich während ich mich quer durch die Universitätsbibliothek fräste fand ich zwei interessante Bücher: eines über germanische Sprache und die zweisprachige "Edda".[30]
Geheime Asatru, wohin man schaut …

H wie Harrison
Harry Harrison (*1925)
Harrison ist einer der produktivsten Autoren im Bereich der humoristischen Science Fiction. Sein "Zeitreise in Technicolor" (Original "The Technicolor time machine", 1967) beschreibt die Zeitreise einer Film-Crew aus dem 20. Jahrhundert ins 11. Jahrhundert der Wikinger. Ein Schenkelklopfer, wenn man das mal so schreiben darf.

K wie Kuttner
Henry Kuttner (1915-1958)
Kuttner war ein Meister der Kurzgeschichte – viele seiner Werke schrieb er gemeinsam mit seiner Frau Catherine L. Moore, selbst eine profilierte Phantastik-Autorin. Sein wundervoller Roman "Lord der dunklen Welt" (Original "The dark world", 1946) spielt in einer von Magie beherrschten Welt, in der die Nornen eine wichtige Rolle spielen. Ein absoluter Knaller, jedem zu empfehlen – und wenn ich mich recht entsinne, nur noch antiquarisch mit Mühen aufzutreiben. Lesen!

S wie Silverberg
Robert Silverberg (*1935)
Auch Silverberg ist ein Meister der Kurzgeschichte, aber seine Bücher sind voll mit Anspielungen auf irdische Mythologien. Das mag an seinem Leseinteresse liegen: "Ich kaufte mir [das Pulp-Magazin] »Weird Tales« – mein erstes enthielt eine Novelle von Edmond Hamilton über die nordischen Götter, welche mich begeistert hat, denn ich habe mich seit meiner frühen Jugend durch ganze Bibliotheken nordischer Mythologie gelesen."[31]

Z wie Zelazny
Roger Zelazny (1937-1995)
Wie schön, wenn man eine alphabetische Liste von Autoren mit einem Giganten wie Zelazny beenden kann. "Straße der Verdammnis" (Original "Damnation alley", 1969), "Jack aus dem Schatten" (Original "Jack of the Shadows", 1971), das gigantische "Mein Name ist Legion" (Original "My name is Legion", 1976), "This immortal" (1966) – der Mann ist ein hinreißender Weber von Mythen.
In seiner mitreißenden Serie "The Chronicles of Amber" gibt es (im Band "The Courts of Chaos", 1978)[32] einen Hinweis auf Hugi und Ygg, den Weltenbaum. Die ganze Serie ist voll von Anspielungen auf Figuren, die irgendwie … nordisch sind. Und Oberon selbst würde einen guten Odin abgeben.

7. Exkurs: Nebenwege
So, die Liste der Altmeister sollte bewiesen haben, dass es da draußen noch genug Dinge gibt, die man lesen sollte, bevor man glaubt, es gäbe keine Asatru-Literatur. Und geschickt habe ich versucht, ein paar Lesehinweise abzugeben in Bereichen, die nicht nordisch angehaucht, aber trotzdem verdammt gut lesbar sind.
Phantastik ist sicherlich die einflussreichste Gattung an Literatur des 20. und wahrscheinlich auch 21. Jahrhunderts. Dies ist keine neue Erkenntnis; viele Autoren, die sich selbst für nordische Mythen interessiert haben, haben diese Faszination in ihre Bücher hineingetragen. Wenn wir uns als Neo-Pagane – tolles Wort – weniger damit beschäftigen würden, Menschen über das anzusprechen, was sie nicht lesen, sondern sie mit etwas anzusprechen, was sie lesen oder lesen wollen könnten, wäre unser Weg einfacher. Ich sehe uns schon in den Innenstädten stehen, in den Armen aufgeschlagen die Bücher von Anderson und de Camp und Werbung machen für "The Church of Odin the Redeemer". Na gut, das sind vielleicht nicht die Phantasien eines jeden, aber ich denke, dass die Existenz von heidnischen Texten im "Mainstream" der Phantastik viel zu lange ein wenig unbeobachtet an uns vorbeigegangen ist.

Zwei Hinweise noch. Dass ich selbst Neil Gaiman (*1960) nicht allzu sehr mag, was seine Bücher betrifft, mag daran liegen, dass er mich oft an Terry Pratchett (*1948) erinnert, den ich auch nicht mag. Aber Gaimans Buch "Odd and the Frost Giants" (2009) ist ein Asatru-Kinderbuch, nicht mehr und nicht weniger – und Gaimans Comicreihe "Sandman" ist voll von Anspielungen auf die nordische Mythologie, leicht zu erhalten und ausgesprochen unterhaltsam.
Wer es mehr mit Gegenwartsliteratur hält und mit einem guten Krimi seine Bekannten beeindrucken will, der möge sich "The Stranger House" von Reginald Hill (*1936) besorgen. "The Stranger House" (2005) ist ein tolles Buch[33]; aber das Werk könnte ein klassisches Beispiel für das Eindringen von nordischen Motiven in die Gegenwartsliteratur sein.

8. Ausblicke
Ich versprach am Anfang ein wenig Aufklärung darüber, ob es neuheidnische Versatzstücke in der Fantasy-Literatur gibt. Ich hoffe, dieser Beweis ist mir gelungen.
Doch so will ich nicht mit diesem Text enden. Franz Wegener schrieb in seinem Buch von 2004 "Kelten, Hexen, Holocaust: Menschenopfer in Deutschland" zur Anwerbung von Menschen für das Heidentum in der Zwischenkriegszeit: Ein weiteres Problem bei der Gründung einer neuen, germanischen Religion bestand darin, sich den Kruppschen Hochofenarbeiter Met trinkend in Tierfellen zu imaginieren.[34]
Nun gut, aber ich kann mir vorstellen, dass man sich den modernen Menschen mit einem Buch vorstellen kann. Vielleicht erfordert die Verwandlung einer heidnischen Weltsicht und Religion nicht nur eine Transformation der verwendeten Sprache, sondern auch eine Transformation der verwendeten Mittel. Ich möchte mich gerne mit germanischem Heidentum beschäftigen, trotzdem heiß duschen, Kaffee trinken, ab und an einen Film schauen und sehr, sehr oft ein gutes Buch lesen. Eines kann ich auf jeden Fall sicher sagen: Käme Delling heute wieder, er würde Fantasy lesen.

Verwendete Literatur
Adler, Margot "Drawing down the Moon", Boston, 1986 (revised and expanded edition)
Anderson, Poul "Das zerbrochene Schwert", München, 2002
Anderson, Poul "Die Chroniken der Zeitpatrouille", München, 1997
Anderson, Poul "Operation Chaos", München, 1973
Anderson, Poul "Who were the Aesir?" in de Camp, L. Sprague (Hrsg.) "The spell of Conan", New York, 1980
Bergier, Jacques und Pawels, Louis "Aufbruch ins dritte Jahrtausend", Bern und München, 1962
Carpenter, Humphrey "J.R.R. Tolkien – A biography", London, 1978
Carter, Lin "Imaginary Worlds", New York, 1973
Childress, David Hatcher (Hrsg.) "Lost Continents & The Hollow Earth", Kempton/Illinois, 1999
De Camp, Lyon Sprague "Die Räder der Zeit", München 1978
De Camp, Lyon Sprague & Fletcher Pratt "An den Feuern des Nordens", München, 1981
Farmer, Philip Jose "Maps and Spasms" in Greenberg, Martin H. (Hrsg.) "Fantastic Lives", Carbondale and Edwardsville, 1981
Gaiman, Neil "Odd and the Frost Giants", New York, 2009
Garbowski, Christopher "Tolkien’s Cosmic Eucatastrophe" in Petzold, Dieter (Hrsg.) "Inklings Jahrbuch für Literatur und Ästhetik Band 18", Moers, 2000
Goulart, Ron "Cheap Thrills", New Rochelle, 1972
Harrison, Harry "Zeitreise in Technicolor", München, 1970
Hill, Reginald "The Stranger House", London, 2005
Kuttner, Henry "Lord der dunklen Welt", Rastatt, 1975
Magin, Ulrich "Das »Shaver-Geheimnis«" in "phantastisch!", Hitzacker, 2004
Rendel, Christian "Von Belfast nach Narnia", Basel und Gießen, 2006
Roberts, John Maddox "King of the Wood", New York, 1986
Shaver, Richard S. mit Palmer, Ray "I remember Lemuria" in Childress, David Hatcher (Hrsg.) "Lost Continents & The Hollow Earth", Kempton/Illinois, 1999
Silverberg, Robert "Sounding Brass, Tinkling Cymbal" in Aldiss, Brian & Harrison, Harry (Ed.) "Hell’s cartographers", New York, 1975
Von Schnurbein, Stefanie "Religion als Kulturkritik", Heidelberg, 1992
Wegener, Franz "Kelten, Hexen, Holocaust: Menschenopfer in Deutschland", Norderstedt, 2004
Wilson, A. N. "C. S. Lewis", London, 2005
Zelazny, Roger "Chronicles of Amber", London, 2008




  1. Von Schnurbein, S. 305
  2. "From Thorpe’s Northern Mythology he caught a passion for the Icelandic sagas, traveled to Iceland to explore on foot the very ground the saga-heroes had walked, and from his enormously successful translations a generation of readers learned to love a great literature – a generation that included E. R. Eddison, Fletcher Pratt, and C. S. Lewis." (Übersetzung HR) Carter, S. 23
  3. "Eddison followed (…) with (…) a book called Egil’s Saga (…). This was an actual prose translation of one of the longer, book-length sagas (…)." (Übersetzung HR) Carter, S. 34
  4. "At such gatherings, the conversation ranged rather widely – »from beer to Beowulf, to torture, Tertullian, bores, the contractual theory of medieval kingship, and odd place-Names,« as W. H. Lewis, the author’s brother, recalled (…)." (Übersetzung HR) Carter, S. 109
  5. "The early stuff which he wrote for himself, such as Loki Bound, is almost entirely unreadable." (Übersetzung HR) Wilson, S. 38
  6. "The first was a love-affair with what W. H. Auden calls »the Northern Thing«, the mythos of Nordic Europe, which he first encountered in Longfellow’s poem, »Tegner’s Drapa«, his passion was reinforced later by the chance discovery of Wagner’s Ring, and sealed forever by a cataclysmic encounter with William Morris: »I had met him first in quotation in books on Norse Mythology. That led me to Sigurd the Volsung.«" (Übersetzung HR) Carter, S. 102
  7. Rendel, S. 38
  8. "(…) and familiar beings from the mythologies of Northern Europe, such as Dwarves and Ogres and Ettins and the Fenris-Wolf, which Peter slays with his enchanted sword, Rhindon." (Übersetzung HR) Carter, S. 107
  9. Carter, S. 113
  10. Nach Carpenter, S. 148
  11. Nach Carpenter, S. 72
  12. Nach Carpenter, S. 182
  13. "The scenery of Middle-Earth seems quite familiar to us; we have visited something quite like this world of untamed forests and adventurous quests and dragon-guarded treasures in the Norse sagas and eddas, the German Nibelungenlied epic, Wagner’s Ring cycle, and – for that matter! – Grimm’s fairy tales. It is the familiar heroic or mythological age of Northern European folklore, legend, and epic literature, decked out with newly invented names.
    When the Professor came to write the trilogy itself, he had some second thoughts about the lore established in The Hobbit. The goblins became the orcs, the Necromancer became Sauron, the endpaper maps were tinkered with, and the finish of the riddle game between Bilbo and Gollum was changed. Subsequent printings of The Hobbit have been altered to reflect these later developments." (Übersetzung HR) Carter, S. 114
  14. "From the beginning of his writing two divergent eschatologies emerged: a more sombre apocalyptic one at the end of time as his legendarium presented it, patterned roughly on the Nordic Ragnarok (…)." (Übersetzung HR) Garbowski, S. 275
  15. Bergier und Pawels, S. 212
  16. Shaver, S. 53
  17. "(…) but the Nor-men shun all suns and can only be found where the sun rays shine not." (Übersetzung HR) Shaver, S. 10
  18. Shaver, S. 128, deutlicher S. 133
  19. "Raymond S. Palmer’s most memorable contribution to the field of pulp science fiction was the Shaver Mystery. Richard S. Shaver lived in a small town in Pennsylvania and believed in Lemurians. Commencing with »I remember Lemuria« in the March, 1945 issue of Amazing, Shaver’s accounts of his experiences with and theories about the refugees of the Atlantis-like Lemuria became a regular series. (…). »Drawing on his 'racial memories' Shaver described in great detail the activities of a midget race of degenerates called »deros« who live in huge caverns beneath the surface of the earth. By means of telepathy and secret rays the Deros are responsible for most of earth’s catastrophes – wars, fires, airplane crashes, ship wrecks, and nervous breakdowns. (…) I thought it was about the sickest crap I’d run into. Palmer ran it and doubled the circulation of Amazing within four months.«" (Übersetzung HR) Goulart, S. 171 f.
  20. Childress, S. 223
  21. Magin, S. 17
  22. "In fact, Anderson’s first published book was a grim, beautiful Sword & Sorcery novel called The Broken Sword, whose roots are more firmly traceable to the traditions of the Scandinavian sagas, strictly speaking, than to the Howardian brand of swashbuckling. Anderson comes by his fondness for the Norse myths and Icelandic sagas quite naturally, being of Danish extraction." (Übersetzung HR) Carter, S. 153
  23. Anderson "Das zerbrochene Schwert", S. 19
  24. Anderson "Operation Chaos", S. 46
  25. Vgl. Anderson "Operation Chaos", S. 8 und S. 20 (mit dem Afrikakorps)
  26. Anderson "Operation Chaos", S. 16
  27. Anderson "Operation Chaos", S. 7
  28. "(…) Shea plays a Wrong-Way Corrigan through the infinity of possible worlds, ending up in the cosmos of the Norse Eddas, complete with Aesir, Jotuns, and Valkyries." (Übersetzung HR) Carter, S. 79
  29. "(…) I’d read and reread many times Gulliver’s Travels, Carroll’s Alice books, various books of the Bible, Bunyan’s Pilgrim’s Progress, much of Mark Twain, the Iliad and Odyssey, The Arabian Nights, the Oz books, Robinson Crusoe, Olive Schreiner’s strange little fantasies, Treasure Island, much of Jack London, Greek and Norse mythology, Lang, Andersen, Grimm, Crump’s Og novels, an abridged Malory, Robin Hood, Doyle’s The Lost World and Sherlock Holmes stories, A. Hyatt Verrill, The Rime of the Ancient Mariner, Peter Pan, several books on Amerind mythology, and had even skipped through The Book of Mormon." (Übersetzung HR) Farmer, S. 29
  30. "I was still reading Doc Savage, science fiction, and other pulplit, but I’d discovered Hemingway, Faulkner, Goethe, Marlowe, the Restoration dramatists. And while prowling through the university library I found two fascinating books, one on comparative Germanic and bilingual Prose Edda." (Übersetzung HR) Farmer, S. 37
  31. "I did buy Weird Tales – my first one had an Edmond Hamilton novelette about the Norse gods, which delighted me since I had gone through whole libraries of Norse mythology in early boyhood." (Übersetzung HR) Silverberg, S. 12
  32. Zelazny, S. 726
  33. Die deutsche Übersetzung "Das Fremdenhaus" kann ich nicht beurteilen.
  34. Wegener, S. 70