Was fällt mir ein zu Rodenstein

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Schlaraffen hört!
Eigentlich wäre die ehrlichste Antwort auf die gestellte Frage "Nichts", denn zum Ritter Rodenstein fällt mir nichts, aber auch garnichts ein. Das mag ein wenig daran liegen, dass ich Ihn nicht kennengelernt habe. Natürlich bleiben Möglichkeiten wie eine Seance, um mit Ihm Kontakt aufzunehmen – aber ich vermute, dass die Ergebnisse dieser Seance im Reich nicht auf genügend Verständnis stoßen würden.
Die zweite Möglichkeit ist die Deutung des Begriffs "Rodenstein" als auf jene Burgruine verweisend, die im Odenwald vor sich hin verfällt. Ob das so vom Fragesteller gemeint war, steht in den Sternen; hier wäre zwar keine Seance nötig, aber ich vermute, dass die Antworten auf Nachfragen ähnlich unbefriedigend ausfallen würden. Zurück zum Thema. Nun, immerhin kann ich sagen, dass ich in der Ortskirche nahe dem Rodenstein mal Elvis zu einer Hochzeit gesungen habe, aber weder gelingt es mir, Elvis Presley mit den Schlaraffen in Verbindung zu bringen noch mit dem Rodenstein. Wobei ersteres erträglich einfach wäre, wenn man daran erinnert, dass Elvis gerne bunte Umhänge getragen hat – nur bei den Kopfbedeckungen sieht es bei ihm eher schlecht aus. Und die Schlaraffensprache ist bekanntlich Deutsch, so dass der Elvis-Liedkorpus trotz seiner hohen Kantabilität auf "Muss I denn" reduziert würde, was mit dem Rodensteiner wiederum nichts aber auch gar nichts zu tun hat.
Variante 3 ist dann jene Variante, für die ich mich entschieden habe. Jene vom Reych bereitgestellte Möglichkeit zur solipsistischen Antwort, welche die Frage eindeutig vorgibt – das "Was fällt MIR ein zum Rodenstein?" erlaubt es, ALLE Beziehungsketten zwischen Rodenstein und meinen Einfällen offen zu lassen, finden sie doch unüberprüfbar und unsehbar allein zwischen meinen Ohren statt. Natürlich kann ich jetzt nicht mehr behaupten, dass mir nichts zum Rodenstein einfällt. Aber die ersten drei Assoziationen sind Hagen Daz-Eisbecher, der schon genannte Elvis und mein Freund Holger. Dies hat etwas mit jener Hochzeit zu tun, auf der ich gesungen habe … aber das ist definitiv eine andere Geschichte.
Wenn ich nun meine Gedanken assoziativ frei schweifen lasse und mich dem Gedankenrausch frei hingebe, der wie ein Bergbach durch meinen Hinterkopf zu gluckern pflegt, wenn ich mich auf eine Fexung vorbereite, so kann ich behaupten, dass mir etwas eingefallen ist. Charmant ist dabei die völlige Unüberprüfbarkeit dieser Aussage – siehe oben.
Es gibt eine Sage, die man mir als kleines Kind erzählt hat. Es war meine Großmutter, die im biblischen Alter von über 100 Jahren vor nicht allzu langer Zeit gestorben ist. Im Nachhinein muss ich zugeben, dass meine Großmutter dazu neigte, den westfälischen Lokalkolorit – denn von dort kommt sie eigentlich – in den Odenwald zu übertragen. Eigentlich ist das egal, denn die Geschichte passt auch in den Odenwald gut. Und da ich mich an Deutsch als Schlaraffensprache halte, erspare ich dem Reich auch die Simulation von Odenwälder Mundarten.
Als Kind hatte ich ein Zimmer unter dem Dach im Reihenhaus meiner Eltern. Wenn es stürmte oder hagelte, dann prasselte es auf das ganze Dach und der Wind schob sich unter die Ziegeln und machte einen riesigen Lärm. Natürlich konnte ich nicht einschlafen. Und so bewegte sich meine damals schon betagte Großmutter die Treppe hinauf und setzte sich zu mir ans Bett, um mich zu beruhigen.
Es war die Zeit nach Weihnachten, das, was man "zwischen den Jahren" nennt. Meine Großmutter erzählte mir nun, dass das da draußen kein normaler Sturm sei, sondern der Rodensteiner. Er sei wegen seines sündigen Lebens verflucht, in diesen Raunächten umherzuziehen. So ritt der Rodensteiner mit seiner Rotte räudiger Ritter runter ins Tal, um Angst und Schrecken zu verbreiten.
Aber das sei nicht schlimm, meinte meine Großmutter. Denn er würde nur eine Nacht aus den Toren der Hölle entlassen, um mit seinem Tross zu randalieren. Ihre Pferde würden über die Wolken ziehen, ihre Hufe würden Flammen schlagen an den Gipfeln des Odenwaldes – ich war noch klein, da glaubt man daran, dass die Gipfel des Odenwaldes die Wolken berühren – und verdammt bis in alle Ewigkeit würden sie diese eine Nacht der Freiheit nützen, um Lärm zu machen, es blitzen, toben und hageln zu lassen.
Nur eine Nacht wären sie unterwegs, nur eine einzige Nacht – wenn alles gut liefe. Denn wenn ein Krieg bevorstünde, dann würden sie drei Nächte reiten. Und so lauschen alle Menschen nicht in der ersten Nacht angstvoll hinaus, sondern in der zweiten. Denn sie leben in Angst, dass der Rodensteiner eine zweite Nacht reiten könnte, um von Krieg und Vernichtung zu künden.
Meine Großmutter sagte, dass er auch vor dem großen Weltenbrand – das waren ihre Worte für den 1. Weltkrieg – und vor dem 2. Weltkrieg drei Nächte lang geritten sei. So hätten die Menschen gewusst, dass ein Krieg kommt.
Ich fragte sie, ob der Rodensteiner niemals erlöst würde. Nein, meinte sie, er müsste so lange reiten, wie die Menschen Krieg führen würden – also für ewig.
  Das machte mir irgendwie mehr Angst als die Vorstellung von skelettierten Pferden und verrotteten Ritter, die durch den Sturmwind stoben. Meine Großmutter war damals für mich die absolute Messlatte der moralischen Instanz, wie konnte ich also daran glauben, dass Menschen irgendwann keinen Krieg führen würden, wenn sie nicht daran glaubte?
Ich gebe es zu – ich habe Glück gehabt. Meine Großmutter, die in beiden Weltkriegen Verwandte und Freunde verloren hat, beneidete mich dafür, dass ich in der längsten Friedensperiode der deutschen Geschichte groß geworden bin. Damit hat sie eigentlich recht.
Doch heute noch, wenn im Winter der Sturm heult und der Wind bläst und der Hagel gegen die Fenster prasselt, denke ich zuerst an meine Großmutter. Ich hoffe darauf, dass sie irgendwo jenseitig glücklich sitzt, ihr Strickzeug in der Hand und Pullover strickt. So wie ich sie kenne, strickt sie wahrscheinlich sogar für den Rodensteiner, damit der in seiner rostigen Rüstung nicht so frieren muss in Sturm und Eis.
Und der Rodensteiner? Ich höre immer noch hin, ob er nicht ein zweites Mal reitet in jenen Nächten zwischen den Jahren. Ich lausche, ob ich nicht das Schnauben seiner gerüsteten Rosse im Wind hören kann, das Blitzen seiner Augen sehe durch die Wetterwolken voll Schnee, sein Schwert erblicke, wie es Blitze schlägt in die Nacht. Und dann erwische ich mich dabei, dass ich nach oben schaue und den Sternenhimmel anschaue, ob seine Silhouette nicht am Horizont den Himmel verdunkelt, so dass er gleich mächtig randalierend herüberreitet, um Krieg und Vernichtung zu künden.
Lulu.